Gauting:Viel Licht und viel Schatten

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Aufsehenerregende Perspektiven: Rainer Viertelböcks Bild von der Quadriga auf dem Münchner Siegestor. (Foto: Georgine Treybal)

Der Fotograf Rainer Viertlböck stellt im Gautinger Bosco Bilder der südspanischen Umweltkastastrophe und spektakuläre München-Ansichten aus

Von Katja Sebald, Gauting

"Ich nähere mich meinen Motiven gerne in meinem eigenen Tempo", bekannte Rainer Viertlböck am Teetisch der Kulturjournalistin Sabine Zaplin. Deshalb sei er Architektur- und Landschaftsfotograf geworden, der allzu direkte Kontakt mit Menschen bei der Porträtfotografie sei nichts für ihn. Zur Eröffnung seiner Ausstellung hatte Zaplin den vielfach preisgekrönten Fotografen zum nachmittäglichen Talk "Tee bei Sabine" ins Gautinger Bosco eingeladen.

Vielleicht hätte Rainer Viertlböck auch im Gespräch sein eigenes Tempo gebraucht, denn er erwies sich als recht sperriger Interviewpartner, der sich keine Geheimnisse entlocken lassen wollte - nichts Persönliches und schon gar keine technischen Geheimnisse zur Entstehung seiner Fotos.

Seit einigen Jahren wohnt der 1958 geborene Rainer Viertlböck in Gauting, zuvor lebte er länger in Südspanien. Für seine Arbeit aber bereist er die Welt: Er fotografierte unter anderem das Gesamtwerk des Stararchitekten Helmut Jahn. Als erster deutscher Fotograf wurde er mit dem "International Photography Award" (IPA) ausgezeichnet. Das ist um so erstaunlicher, als er erst 2001, nach einer Laufbahn als Musiker und Komponist von Filmmusiken, mit seiner fotografischen Arbeit begonnen hatte. Bereits 2014 war er mit hochästhetischen und zugleich erschreckenden Bildern von den sogenannten "Chabolas" bei Huelva in Südspanien zu Gast im Gautinger Bosco: illegal errichtete Hüttensiedlungen von meist ebenfalls illegalen schwarzen Immigranten, die auf den riesigen Erdbeerplantagen rund um die andalusische Stadt Huelva arbeiten und ihre Hütten aus Abfallmaterialien errichten.

Damals näherte sich Viertlböck der "Low-End-Architektur" mit demselben Respekt - und übrigens auch mit dem technischen Aufwand - wie der "High-End-Architektur", die er normalerweise fotografiert. In den sorgfältig ausgeleuchteten "Interieurs" waren keine Menschen zu sehen, sondern die "architektonischen" Besonderheiten ihrer armseligen Behausungen, verknotete Schnüre, die Stützkonstruktionen zusammenhalten, Pappkartons, die Wände dämmen, die improvisierte Einrichtung des Küchenzelts.

Jetzt hat Viertlböck noch einmal nachgelegt, in seinen neuen Bildern zeigt er das ganze Ausmaß einer menschengemachten Katastrophe: Denn hinter den Chabolas beginnen die Erdbeerfelder, hinter den Feldern stehen riesige Chemiefabriken, und hinter den Fabriken kommen die Abraumhalden mit Chemiemüll und dann gleich die Strände, an denen die Menschen baden. Manchmal aus Drohnenperspektive und manchmal nur mit respektvoller Distanz zeigen diese Aufnahmen eine zerstörte Landschaft, die nichts mit dem Andalusien zu tun hat, das Touristen erleben: giftige Chemiewolken, verseuchte Flüsse, veraltete Industrieanlagen, Bauruinen und Straßen, die ins Nichts führen. Und doch liegt hinter all dem ein trügerisch blaues Meer. Und doch geht hinter den Schloten die glühende Sonne auf. Und doch werden hier trügerisch rote Erdbeeren produziert.

Es sind diese Erdbeeren, die den einen Teil dieser Ausstellung mit dem anderen verbinden: "Ich widme meine Arbeit zu gleichen Teilen den Licht- und Schattenseiten unserer Welt", schreibt Viertlböck im Begleittext zur Ausstellung. Etwa zeitgleich mit den Arbeiten aus Spanien fotografierte er seine Heimatstadt München, die er seit seiner Rückkehr wie ein "beschauliches Eiland" erlebe. Im Bosco ist jetzt auch eine Auswahl der Motive zu sehen, die im Herbst in einem opulenten Bildband bei Schirmer/Mosel erschienen sind - alles andere als beschauliche, sondern vielmehr spektakuläre Aufnahmen, die in ihrer cleanen und ungemein tiefenscharfen Ästhetik beinahe an Gursky-Montagen denken lassen, noch mehr aber durch ihre höchst ungewöhnlichen Blickwinkel überraschen. Viertlböck montierte seine Kamera auf eine Hebebühne oder auf eine Drohne, er überflog die Stadt im Hubschrauber und gelangte so an Aussichtspunkte, die eigentlich unerreichbar sind. Er war, so scheint es, Kopf an Kopf mit dem Friedensengel und ging der Quadriga auf dem Siegestor entgegen, er umschwirrte die Türme des Müller'schen Volksbads und schaute von oben ins Silvesterfeuerwerk.

Die Ausstellung ist bis 5. Februar im Bosco zu sehen, der Eintritt ist frei.

© SZ vom 11.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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