Gauting:Slapstick und Tragödie

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Die Theatergruppe "Familie Flöz" zeigt böse und ironisch "Haydi!" als Flüchtlingsstück

Von Blanche Mamer, Gauting

Zwei graue Männer, einer groß gewachsen, einer klein und drahtig, salbadern unverständliches Zeug und begrüßen schließlich einen neuen Mitarbeiter. Pedro Solano aus Costa Rica hat einen Universitätsabschluss in "Border Management", ein Beweis für seine Kompetenz. Doch erst mal braucht er einen Ausweis, da ihn die Security für einen Flüchtling hielt und ihn also alles andere als zuvorkommend behandelt hat. Der Zuschauer kapiert: Die Szene spielt in einer Grenzstation, mit Beamten, die ihre Späßchen treiben. Das Publikum im Bosco in Gauting ist etwas ratlos, vielleicht irritiert. Auf dem Programm steht "Haydi!", der Schweizer Klassiker, allerdings umgeschrieben von der Theatergruppe "Familie Flöz", der als beste Komödie 2015 mit dem Monica-Bleibtreu-Preis ausgezeichnet wurde.

Ein plötzlicher Sprung vom Slapstick zur Tragödie: Ein müdes Mädchen mit Rucksack, eine lebensgroße Puppe, tappst auf die Bühne, fällt hin, gibt auf und stirbt in Solanos Armen. Die Puppe mit dem verlorenen Gesichtsausdruck stellt das Flüchtlingskind Haydi dar, das die Suche nach seinen Eltern nicht überlebt. Was den neuen empfindsamen Grenzbeamten (gespielt von Andrés Angulo) zutiefst aufrüttelt, da er nun mit der Realität konfrontiert ist, hat er die Flüchtlinge bisher doch vor allem als statistische Zahlen wahrgenommen.

Bitter und ironisch spielt das Stück mit den Gefühlen und stereotypen Vorstellungen der Zuschauer zum Thema Asyl. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Er hebt das rote Kopftuch neben dem Kind auf und heftet es in einen Aktenordner. So wird es zum roten Faden des Stücks und verbindet die realen Szenen auf der Bühne mit Haydis Geschichte Diese wird als animierte Graphic Novel auf eine Leinwand im Hintergrund projiziert. Der Comic in Schwarz-weiß zeigt eine ärmliche Hütte, irgendwo in einem Gebirge, ein alter Opa sitzt frierend am Ofen, Vater, Mutter und Kind sitzen am Tisch, vor leeren Tellern. Die beiden Erwachsenen-Figuren mit den verhärmten, Maus ähnlichen Gesichtern - langen Nasen und Knopfaugen - machen sich auf den Weg in eine ungewisse Zukunft. Sie überwinden Berge, überqueren baufällige Brücken, sind Schneestürmen und Regen ausgesetzt und kommen schließlich an: An einem unüberwindlichen Stacheldrahtzaun, von Scheinwerfern verfolgt, aufgegriffen. Das Mädchen hatten sie beim Großvater zurück gelassen; als der alte Mann stirbt, macht Haydi sich ebenfalls auf den Weg ins Nirgendwo. Wie die Eltern erreicht es den Grenzzaun, hämmert erschöpft gegen verschlossene Eisentüren und stirbt am Gitter.

Unwillkürlich denkt der Zuschauer an die vielen Zäune, an den griechisch-mazedonischen Grenzzaun in Idomeni, an die Nachrichten vom Mittwoch, an die Hunderte von afrikanischen Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrunken sind, an Österreich, das den Brenner dicht macht, an die Security-Leute in München, die Flüchtlinge ihr Geld abpressten. Doch bevor die Gedanken allzu traurig werden, wechselt das Stück zurück ins Büro der Flüchtlingsbehörde. Und wird zur Groteske. Eigentlich müsste einem das Lachen ja im Hals stecken bleiben, werden die Späße der Mitarbeiter doch immer vulgärer und überdrehter. Arbeit scheint das Unwort des Jahres, kein Sachbearbeiter schert sich drum, der Ordner mit dem roten Schal wird von Schreibtisch zu Schreibtisch geschoben, endet schließlich im Schredder. Wichtigstes Versatzstück ist die Espressomaschine, sie steht für die Plauderpausen und gibt den Tagesablauf vor. Eine gelungene Idee ist, dass jeder Mitarbeiter eine andere Sprache spricht, jede verballhornt wie bei Chaplin in der Hitler- Satire "Der große Diktator". Mal erinnert der Duktus an holländisch, mal an französisch, deutsch, schwizerdütsch und dänisch. Und verbindet die Sprachen mit vermeintlichen Eigenschaften der Nationen hin.

Den Schweizer Klassiker "Heidi" hat die Theatergruppe "Familie Flöz" in die Groteske "Haydi!" umgeschrieben. (Foto: Fuchs)

Jedoch: Die überzogenen Bürowitze führen das Flüchtlingsdrama ad absurdum. Und das ist gar nicht lustig. Das Stück spielt auf und mit völlig konträren Ebenen, klafft auseinander. Die abrupten Sprünge vom Schicksal der Armutsflüchtlinge zur Wurstigkeit der Beamten sind fast unerträglich. Nehmen wir an, dass es der 1996 gegründeten internationalen Theatertruppe "Familie Flöz" bei dem Stück von 2014 genau darum ging, mit der eigenwilligen Kombination aus Schauspielern, Masken, Puppen und Animation in Parallelwelten das komplexe Thema herauszuarbeiten. Das ist okay, wobei die Frage bleibt, was dazu geführt hat, das Stück als beste Komödie auszuzeichnen.

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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