Gauting:Sicher auf schmalem Grat

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Das Quatuor Hermès im ausverkauften Bosco

Von Reinhard Palmer, Gauting

Es war schon eine heikle Aufgabe, die sich das Quatuor Hermès im ausverkauften Gautinger Bosco vorgenommen hatte. Aber das Ensemble war sich der Sache absolut sicher und meisterte die Gegenüberstellung der drei ästhetischen Konzepte - das der Wiener Klassik, der Zweiten Wiener Schule sowie der Romantik - mit ausgeprägtem Sinn für die entscheidenden Dinge, eben für die fundamentalen Ideale der jeweiligen Stilepoche oder Geisteshaltung. So war etwa nicht nur Mozart in seinem ganz spezifischen Klanggewand eindeutig charakterisiert, sondern exakt auch dessen Entwicklungsphase, die hier zugleich den Start dessen markierte, was später als Wiener Klassik bezeichnet werden sollte. Im Streichquartett G-Dur KV 387, einem jener Bewährungsproben vor Haydn, die der 26-Jährige mit Bravour bestand, ist ein schmaler Grat zu gehen. Denn bei schlanker Stimmführung und Leichtigkeit in warmtonig abgestimmter Ensemblebalance die höfische Galanterie aus dem Spiel zu lassen und zugleich wohlproportionierte Größe ohne Pathos aufzubauen, erfordert enorm viel Fingerspitzengefühl.

Dass dem Quatuor Hermés das so zielsicher und mit spielfreudiger Verve von der Hand ging, lässt eine große Portion Ensemble-Intuition vermuten. Die intensive Spannung, die das französische Ensemble zudem vom ersten bis zum letzten Ton zu halten vermochte, tat das Ihre dazu. Vor allem in Anton Weberns "Fünf Sätze für Streichquartett" op. 5, jenem Werk, das erstmals nicht nur atonal, sondern auch athematisch mit der musikalischen Idee als Mittel und Ziel zugleich von allem Beiwerk - ob formaler oder schmückender Art - befreit ist. Ein solcher Sprung vom späten 18. ins frühe 20. Jahrhundert konnte nur in einem Akt höchster Konzentration und diesmal auch körperlicher Anspannung gelingen.

Die Präzision, mit der die vier jungen Streicher die ausgeklügelten Spieltechniken der Neuen Musik meisterten, und das Maß für die rechten Proportionen, mit denen sie kombiniert mit traditionellen Spielweisen erklangen, ermöglichte es dem Ensemble, eine sehr suggestive und klangmalerische Erzählweise zu kreieren. Und die reichte - mit Atmosphäre aufgeladen - schon sehr nah an die gesprochene beziehungsweise gesungene Sprache heran.

Im emotionalen Gehalt der Musik stand Schumann dem kaum nach, wenn auch seine rhetorischen Mittel eine starke Ausrichtung an der Formschönheit zeigen. Die Romantik erzählt vor allem mittels Empfindungen, die das Quatuor Hermès großzügig changieren ließ. Dem Bauchgefühl nachzugeben - erst recht wenn sich die Bäuche absolut einig sind -, war hier kein Fehler. Das Scherzo und das Finale in Schumanns F-Dur-Quartett op. 41/2 schwirrten und galoppierten etwas davon, doch das passte mit der stimmigen Dramaturgie überein. Die langsame, unterschwellige Entwicklung in weiten Wogen auf ein geradezu triumphales Finale hin ging schlüssig auf.

Und schließlich stand Schumanns Streichquartett am Ende des Konzerts und sollte mit der lustvollen Musizierart für lang anhaltende Ovationen sorgen. Dvořáks Schlusssatz aus dem amerikanischen Quartett Op. 96 F-Dur erklang in der Zugabe so schillernd in der Farbigkeit, erfrischend in der mitreißenden Heiterkeit, packend im musikantischen Schwung und euphorisierend in der Musizierfreude, dass man gerne geblieben und weiter zugehört hätte. Ein Versprechen, dass es bald einzulösen gilt?

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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