Gauting:Radikal ehrlich

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"Schreiben ist mein Tempo": Josef Bierbichler zusammen mit Benjamin Cabuk in dem Epos "Zwei Herren im Anzug". (Foto: OH)

Ehrengast Josef Bierbichler stellt seinen Film "Zwei Herren im Anzug" vor, ein Kunstwerk, das dem Publikum im Gautinger Kino harte Szenen zumutet

Von Ute Pröttel, Gauting

Dieser Film ist vollkommen von Josef Bierbichler durchdrungen. Der Ehrengast des Filmfestivals zeigt am Sonntagabend "Zwei Herren im Anzug", doch das Publikum im Kino in Gauting spendet dem Film keinen Applaus. Nachdem das Licht im Saal des Kinos eins wieder angegangen ist, sieht es minutenlang so aus, als ob Bierbichler nicht mehr vors Publikum treten wolle. Erste Zuschauer verlassen das Kino, Festivalleiter Matthias Helwig überbrückt. Dann kommt Bierbichler doch noch herein und erhält verhaltenen Applaus. Er sei noch schnell einen Schnaps trinken gewesen, entschuldigt er sich.

Sein Film ist radikal ehrlich und macht betroffen. Er ist mutig, und er mutete dem Zuschauer einiges zu. Genau solche Filme benötigt ein Kino, das mit dem Slogan Arthouse wirbt. "Zwei Herren im Anzug" basiert auf Bierbichlers Roman "Mittelreich", der 2011 erschienen ist. Das Drehbuch zum Film hat er selber verfasst und auch Regie geführt, vor der Kamera wirkt er ebenfalls. Und das nicht nur in einer Rolle, sondern gleich in zwei.

Als Moritz Holfelder ihn im Talk vor der Aufführung fragt, als was er sich nun eher sieht, als Filmregisseur oder als Autor, überrascht der gebürtige Ambacher mit der Antwort, dass er sich selber nie als Filmregisseur bezeichnen würde. Auch nicht als Schauspieler. Er sei Landwirt. Ein Landwirt, dem eben das Schreiben liegt. "Schreiben ist mein Tempo", sagt der 70-Jährige. "Reden wurde in unserer Familie nicht sehr gepflegt." Fällt es Vater und Sohn deswegen in der Geschichte so schwer, miteinander ins Gespräch zu kommen? "Mittelreich" sei aber keine Familienchronik, stellt Bierbichler vor der Vorstellung heraus. Der Roman sei ausdrücklich nicht autobiografisch, hätte er gewusst, wie viel Biografie von investigativen Journalisten hineininterpretiert werde, hätte er die Geschichte an einem Fluss oder am Alpenrand spielen lassen. So heißt es schon zu Beginn: "nach Motiven aus dem Roman Mittelreich". Dem Ortskundigen fällt auch auf, dass der Film nicht beim Fischmeister am Starnberger See gedreht ist.

Nach dem Begräbnis der Mutter bleiben Vater und Sohn im Saal des heimischen Gasthauses zurück. Jahrelang haben sie nicht miteinander gesprochen. In Rückblenden versucht der Film zu ergründen, wie es dazu gekommen ist. Er blickt dafür sechzig Jahre zurück. Erzählt die Lebensgeschichte von Pankraz. Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Radiogeräte, Fernseher, Motorrad und Bulldog halten Einzug in die bäuerliche Welt. Kameramann Tom Fährmann, der im Abspann unter dem Stichwort "Bildregie" erscheint, hat unglaublich eindrucksvolle Bilder gemacht. Bis zur zentralen Szene im Film, einem ausufernden Faschingsfest während einer stürmischen Winternacht, sind die Rückblenden in Schwarzweiß gehalten. In dieser Nacht bricht das Schicksal mit voller Wucht über den Seewirt herein, der Opernsänger werden wollte. Ab hier wird nun aus der Perspektive des Sohnes Simi erzählt. Bierbichler Sohn Simon Donatz hat diesen Part übernommen. Auch er spielt eine Doppelrolle. Es ist die erste große Hauptrolle des 34-Jährigen, der als Gastwirt in München-Schwabing das Lokal "Trumpf oder Kritisch" betreibt.

Es spielen Vater und Sohn, es arbeiten sich aneinander ab Vater und Sohn. Generationen prallen aufeinander. Ein jeder hat sein Paket zu tragen. Ach ja, und dann tauchen da in der bayerischen Szenerie immer wieder zwei fremde Herren auf. Begleitet werden sie vom Gesumme umher fliegender Bienen oder Fliegen. Nichts besonderes eigentlich in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Und doch haben sie viel zu tun mit der Amnesie des Seewirts.

Bierbichler hat nicht einfach einen Film gemacht, er hat ein Kunstwerk geschaffen. In seiner ganz eigenen Sprache, aus seinem ureigenen Blickwinkel, "Vielleicht ein wenig überfrachtet?", beginnt er hinterher zu reflektieren. In jedem Fall ein Stück Filmkunst, das sich bei jeder neuen Aufführung ein wenig mehr erschließt.

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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