Gauting:Pures Gefühl

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Große Spannungsbögen, enorme Spielfreude, atemberaubende Lyrik: das Fauré Quartett in Höchstform

Von Reinhard Palmer, Gauting

20 Jahre ist es her, dass die vier Musiker in Karlsruhe das Fauré Quartett gründeten. Die vielen Jahre des gemeinsamen Konzentrierens haben das Ensemble nicht nur zu einer überwältigenden Perfektion gebracht, sondern vor allem auch zur Fähigkeit, mühelose Balance und satt kolorierte Homogenität herzustellen. Was das Ensemble aber so außergewöhnlich macht, ist die Frische, Musizierlust und Hingabe, mit der die Musiker weiterhin ans Werk gehen.

Von Routine war auch im ausverkauften Gautinger Bosco nichts zu spüren. Jede Interpretation war ein individuelles Erlebnis, das im besonderen Maße von Emotionalität geprägt erklang. Die Ergriffenheit des Publikums ging so weit, dass nach dem geradezu tragischen Klavierquartett c-Moll op. 60 von Brahms der Schlussapplaus äußerst zögerlich ansetzte. Die sichtliche Verwirrung im Publikum hatte ihren Grund in der Interpretation des Ensembles, die seelentief empfunden so nah ging, dass die Brahmsschen Emotionen unmittelbar spürbar wurden. Seiner unerfüllte Liebe zu Clara Schumann empfand Brahms als so extremes Leid, dass sich der Komponist mit Goethes Werther verglich und damit im Grunde auch Suizidgedanken implizierte. 20 Jahre dauerte die Selbstüberwindung, die das Fauré Quartett in der Musik geradezu greifbar machte. Gewiss sehr wirkungsvoll in den großen dramatischen, emotional aufwühlenden Klangballungen, aber vor allem in den leisen Momenten von zartester, ja fragilster Konsistenz. Diese weiten Rücknahmen, die in allen drei Werken vorkamen, waren die großen Momente des Abends.

Schon in der frappierenden Schlichtheit des Andantes in Mozarts Klavierquartett g-Moll KV 478, das mit der Gleichbehandlung der vier Instrumente die Gattung erst begründet und die Zeitgenossen zunächst überfordert hatte, begeisterte das Quartett mit wohltuender Schönmusikalität. In Faurés Adagio des Klavierquartetts c-Moll op. 15 wagte sich das Ensemble weiter vor, reduzierte den Einsatz der musikalischen Mittel noch stärker, wartete aber zugleich mit einem grandiosen Nuancenreichtum im feinsinnigsten Changieren auf. Vor allem im Adagio-Satz, der in seiner extremen Getragenheit aus seiner Ruhe auch Spannung schöpfte. Im Kopfsatz des französischen Werkes deckte das Fauré Quartett indes impressionistische Züge auf, die schönmalerische Atmosphäre ausbreiteten. Bei Brahms kam im Andante, aber auch in den lyrisch kontrastierenden Passagen der Rahmensätze, eine gesteigerte Ausdruckskraft hinzu, die nicht auf großen Gesten basierte, sondern vielmehr aus dem Quartettsatz selbst heraus wirksam wurde. Glaubte man schon, dass nun die höchste Empfindsamkeit erreicht war, die man sich in einem Klavierquartett mit seiner doch beachtlichen Substanz vorstellen kann, so widersprach das Ensemble in der Zugabe. In Schumanns Andante cantabile aus op. 47 vermochte das Quartett, sich bis ins nahezu Spurenhafte zurückzunehmen und eine atemberaubende Lyrik zu zaubern.

Doch es ging hier keinesfalls seicht zu. Ganz im Gegenteil. Die Balance im Ensemble fand sich auch in den Interpretationen. Den zarten Tönen wurden entsprechende Kontraste geboten. Bei Mozart war es energische Spielfreude, die der eher zierlich schmückenden Epoche Leichtigkeit und luftige Farbenfreude entlockte. Insbesondere mit den vitalen Tänzen im Schlusssatz. Faurés Absicht, der deutschen Romantik etwas Eigenes, Französisches Entgegenzusetzen, rief einen enormen Reichtum der Elemente auf den Plan, die das Fauré Quartett jedoch gewandt einer umfassenden Dramaturgie zu unterziehen verstand. Diese Fähigkeit, große Spannungsbögen zu ziehen, gab dem Ensemble die Möglichkeit, reich zu differenzieren, ohne die Einheit aufzubrechen. Und das half den Musikern schließlich dabei, Brahms' Klavierquartett so packend zu inszenieren. Faszinierender kann Kammermusik wohl kaum sein.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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