Gauting:Musikalische Abenteuerreise

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Michael Wollny, Christian Weber und Eric Schaefer (von links) bekommen in Gauting frenetischen Applaus. (Foto: Nila Thiel)

Pianist Michael Wollny und sein Trio machen im Gautinger Bosco aus Debussy, Hindemith und Walker ihr eigenes Ding - mit großem Erfolg

Von Reinhard Palmer, Gauting

Seit Jahren schon reitet Michael Wollny auf einer gewaltigen Erfolgswoge. Superlative purzeln nur so daher in den Kritiken, einhellig mit dem Urteil des Publikums - so auch offenkundig im ausverkauften Gautinger Bosco. Zusammen mit Christian Weber am Kontrabass und Eric Schaefer am Schlagzeug sollte Wollny auch hier die Musik zum Abenteuer machen. Und das ist keine Floskel, denn exakt das ist wohl auch das Erfolgsrezept Wollnys und seines Trios.

Der Pianist nahm es mit den Titeln nicht so ernst in seinen spärlichen Ansagen. Was gewiss nicht heißen soll, dass er nachlässig wäre oder das Publikum nicht wertschätzte, sondern vielmehr, dass es nicht so wichtig war, was zunächst der Anlass für ein Stück gewesen ist, sondern vielmehr wie es sich entwickelt, welche emotionalen Regionen es durchwandert und womit die drei Musiker aus dem Moment heraus dem Thema begegnen. Dennoch ist das Ausgangsmaterial nicht beliebig, denn Wollny und seine Mitstreiter steigen schon tief in den Steinbruch der Musikgeschichte ab, um Brocken rauszuhauen, die zunächst so gar nicht kompatibel scheinen, dann aber doch unter einem weiten Spannungsbogen zusammenfinden. Nicht etwa, dass es den drei Musikern darum ginge, die Elemente und Stücke auf Biegen und Brechen kompatibel zu machen. Ganz im Gegenteil: Gerade die Inhomogenität ist der Schlüssel dazu, Spannung zu erzeugen, avantgardistisch zu kontrastieren und zu reiben, mit plötzlichen Wendungen zu überrumpeln, ja letztendlich reichlich schräge Passagen zu erfinden, die auch mal hemmungslos wild lärmen.

Würde man die gespielten Titel des Trios auf stilistische Einflüsse analysieren, fände man wohl so ziemlich alles, was die Tonerzeugung je hervorgebracht hat. Deshalb ist hier wohl wichtiger, nicht nach dem Was zu fragen, sondern nach dem Wie. Wie geht man mit Hindemiths Gravity-Interludium oder eigenem Material um. Beispielsweise mit "Kyoto mon Amour", das mit nahtlosen Übergängen zwischen "Big Louise" von Scott Walker und Debussys "Nuit Blanche" stimmig aufgehen sollte. Und vor allem: Wie improvisiert man über so unterschiedliche Ansätze? Letzteres lässt sich nicht pauschal beantworten, denn das Michael Wollny Trio suchte individuell für jedes Material nach einfühlsam erspürten Lösungen. Keine Dramaturgie glich der anderen, was eben den Erlebnisfaktor ausmacht. Es erwies sich als ein fesselnder Ansatz, der nur mit einer gewissen Offenheit der Kompositionen möglich war. Der Rahmen war darin jeweils abgesteckt, doch was im Einzelnen dann spontan passierte, blieb der momentanen Eingebung der Musiker vorbehalten. Und der Überraschungseffekt galt nicht nur dem Publikum, sondern zum Teil auch den Musikern untereinander, die unentwegt in Bereitschaft blieben, auf die Erfindungen der Mitspieler zu reagieren.

Die musikalischen Reisen fielen denn auch recht abenteuerlich aus. Reinster Jazz mit packendem Drive über vorantreibendem Walking-Bass und dichtem Schlagzeugpuls stand im Zentrum, wohin das Trio immer wieder zurückkehrte. In Intros und Zwischenspielen ließen sich die Musiker gerne auf Klangexperimente ein. Etwa mit Gegenständen oder Dämmung auf den Flügelsaiten, Obertonspielereien am gestrichenen Bass oder Schrott-Geräuschhaftem vom erweiterten Schlagzeug-Set. Auf der anderen Seite fand Wollny aber immer wieder auch zu hinreißend fließender Schönmelodik mit wohligen Harmonien voller Poesie, was durch den Kontrast umso mehr unter die Haut ging. Oder er unterlegte augenzwinkernd einen Quint-Bordun und ließ die Melodik folkloristisch tanzen. Wenn es mal bluesig wurde, konnte aus einfühlsamer Thematik allmählich eine astreine Rockballade hervorgehen. Wollny, Weber und Schaefer brachten die Steigerungen mit satter Substanz bisweilen mächtig zum Dröhnen. Danach konnte es schon mal sehr klassisch werden mit einem tradierten Klaviersatz, was dem Trio einen kammermusikalischen Charakter verlieh, verhalten und homogen. Bis es eben wieder auf Abenteuerreise ging. Stets frenetisch bejubelt, was mit zwei Zugaben belohnt wurde.

© SZ vom 29.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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