Sonderausstellung:Kreative Übung fürs Leben draußen

Lesezeit: 2 min

Mit der Ausstellung "Kunst in 36 Zimmern" beweisen die Bewohnerinnen des Mädchenheims nicht nur Ausdruckskraft und explosive Kreativität, sondern offenbaren in ihren Werken auch heimliche Ängste und Wünsche.

Von Blanche Mamer, Gauting

"Ich finde das Malen schön. Es macht richtig Spaß und hilft mir, wenn ich traurig bin oder deprimiert", sagt die 15-jährige Khadiaya. Seit 14 Monaten lebt sie in einer geschlossenen Gruppe im Caritas-Mädchenheim in Gauting und besucht die hauseigene Schule. Für die Ausstellung "Kunst in 36 Zimmern" im Mai in einem Abbruchhaus in Söcking hat sie die zentrale Figur auf einem Gemeinschaftsbild geschaffen. Die Ausstellung, verbunden mit Kunsthappening, Konzerten, Tanz, Lesungen und Bewirtung gab den Kulturpreisträgern 2014 des Landkreises Starnberg , der Malerin Sabine Berr aus Weßling, der Herrschinger Kunstgruppe (Kulturförderpreis) und der Gautinger Malerin und Kunsttherapeutin Ursa Wilms mit ihren Schülerinnen (Anerkennungspreis) drei Tage lang Gelegenheit, sich zu präsentieren.

Die Arbeiten offenbaren Wünsche und Ängste. (Foto: Georgine Treybal)

Die Arbeiten der Gautinger Mädchengruppe kamen so gut an, dass sie im November im Herrschinger Rathaus erneut ausstellen dürfen. "Dort gibt es eine acht Meter lange und vier Meter hohe Betonwand, die für jeweils drei Monate an Künstler vergeben wird. Wir dürfen die Wand gestalten und sind jetzt dabei, das Projekt zu planen", sagt Wilms, die ihr eigenes Atelier in der Gautinger Reismühle hat. Seit 2002 ist sie Kunstlehrerin und -therapeutin in der Schule des Mädchenheims und hat es geschafft, bei den psychisch oft labilen Schülerinnen starke Ausdruckskraft und explosive Kreativität auszulösen und deren Arbeiten öffentlich zu zeigen. Zudem hat sie die Schülerfirma "Kunstagentur" initiiert. Hier arbeitet auch Khadiaya mit und findet, dass ihr das "viel gebracht" hat. Sie war - ebenso wie Sofia, Patrizia, Lisa und Angélique - von Beginn an in die Vorbereitung der Ausstellung in Söcking eingebunden: Entrümpeln, Aufräumen und gründliches Putzen der abgewohnten und dreckigen Räume, Streichen und Bemalen der Wände, Aufbau der Installationen und Organisation eines Shuttle-Busses: Die Schülerinnen konnten zeigen, was alles zu ihrem Metier gehört.

Phantasie und Ausdruckskraft zeigen die Bewohnerinnen des Gautinger Mädchenheims in der Ausstellung. (Foto: Georgine Treybal)

Bevor sie ihrer Kreativität freien Lauf ließen, haben sie sich durch Kunstbücher und Fotos inspirieren lassen und verschiedene Stile ausprobiert: Da flossen Ideen von Picasso, Salvator Dali, Marlène Dumas oder den australischen Aborigines ein, es entstanden große Traum- und Fantasiebilder. Sie fanden in kräftigen Farben zusammen in einem paradiesisch wirkenden Gemeinschaftsbild mit überbordenden Pflanzen, Tieren, Symbolen und Menschen, dessen starker Ausdruck bei den Besuchern großen Anklang fand. Dieses Bild soll auch in Herrsching einen Mittelpunkt bilden. Auch andere Bilder der Söckinger Ausstellung werden erneut gezeigt, darunter auf Zeitungspapier gemalte Motive im Stil des südafrikanischen Künstlers William Kendridge. Auffallend die Gegenüberstellung von alten Kulturen mit der Jetztzeit: "We are because of others" ist ein Motto, aber auch die Forderung "Mensch sein!" oder die Frage "Findet mich das Glück?" sind Formulierungen, die den Mädchen wichtig sind. Und auch das gesunde Leben, das sie zum Teil erst in Gauting kennengelernt haben, präsentieren sie stolz. Zum Beispiel selbst gezogenes Obst, Gemüse und Kräuter aus dem Mädchenheim-Schulgarten. Ähnliche Aktionen soll es auch zur Vernissage in Herrsching geben.

Für Sofia, Patrizia, Lisa, Angélique und Khadiaya stehen aber noch die Quali-Prüfungen an. Zudem fällt ihre Entscheidung, ob sie ein weiteres Jahr in einer offenen Gruppe im Heim bleiben oder in eine Wohngruppe draußen wechseln wollen. Nicht nur die Schülerfirmen, beispielsweise ein Catering-Service, der bei Kunstaktionen zum Einsatz kommt, auch Praktika, Kontaktpflege mit Institutionen und die Entwicklung von Hobbys sollen die Mädchen fit machen "für das Leben danach". Denn Kindheit und Jugend hat ihnen das nicht geboten. "Mehr Zeit für Übergang und die Ablöse wäre schön", sagt Wilms.

© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: