Gauting:Köstlich kindisch

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Beim Benefizabend für den SZ-Adventskalender im Gautinger Bosco zeigen der Schauspieler Stefan Wilkening und die Akkordeonspielerin Maria Reiter in ihrer musikalischen Lesung, dass sie derzeit das komischste Paar der Kleinkunstszene sind

Von Wolfgang Prochaska, Gauting

Es sollte eine "Einladung zu unsinnigen, aber nicht sinnfreien Texten" sein. Die etwa 150 Zuschauer, die ins Gautinger Kulturzentrum Bosco am Donnerstagabend zu der Benefizveranstaltung im Rahmen des SZ-Adventskalenders für gute Werke gekommen waren, nahmen die Einladung von Schauspieler Stefan Wilkening gerne an. Und Wilkening, dieses Energiebündel aus Komik, Slapstick und feierlichem Ernst, schien nichts lieber zu tun, als sein Publikum mit auf diese Reise zu nehmen. Das Motto dieser ungewöhnlichen Premiere stand ja schon vorher fest: "Einfach kindisch...eine musikalische Lesung für Kindsköpfe jeden Alters." Eine Tour d'Horizon von Heinz Erhardt bis zu Robert Gernhardt.

Bevor aber der Schauspieler, gewitzt und virtuos begleitet von der wunderbaren Maria Reiter am Akkordeon, loslegen konnte, bedankte sich Christian Krügel, seines Zeichens Ressortleiter bei der Süddeutschen Zeitung, beim Gautinger Publikum für die große Spendenbereitschaft. 5,6 Millionen Euro konnte der SZ-Adventskalender heuer an Menschen in sozialen Notlagen überweisen.

Mit einer hübschen Einlage eröffnet Wilkening den Abend, als er ungelenk, aber voll kindlichem Stolz auf die Bühne tritt, und man in diesem Moment ahnt, dass er sie zu seiner Manege machen wird. Denn was er aufführt, ist ein kleiner Zirkus, ein Wort- und Gesten-Zirkus. Schön, wie er die Kinder-Geheimsprache so deklamiert, als wär's ein literarisches Meisterstück. Das ist hohe Kunst und sollte jemals ein Virtuose unter einer Zirkuskuppel gesucht werden, Stefan Wilkening wäre der richtige Mann.

Begeistert mit virtuosem Spiel auf dem Akkordeon: Maria Reiter. (Foto: Nila Thiel)

Dies beweist er auch beim Umgang mit Gedichten von Heinz Erhardt. Die Erhardt'sche Lyrik, die bis heute unterschätzt wird und bestenfalls an Kegelabenden zu hören ist, besticht durch ihre Sinnverschiebung und lebt von der Doppelbödigkeit der Sprache. Allerdings kommt sie erst besonders zur Geltung, wenn Gestik und Text zu einer Einheit verschmelzen. Wilkening wählte unter anderem den Erhardt-Klassiker "Warum die Zitronen sauer wurden?" aus. Er trug das Gedicht wie ein nüchterner Erzähler vor, mit einem Grimassenspiel, das er als Kontrapunkt zum Inhalt setzte. Und siehe da: Das Gedicht leuchtete mehr denn je und das Publikum klatschte frenetisch. Das bewies der Schauspieler auch bei den anderen Erhardt-Sachen. Er kann ja nicht nur mit Sprache umgehen, er weiß auch, wie man selbst sperrigen Texten Leben einhaucht, ja sie erst zum Leben erweckt. Das setzt einen guten Sinn für Musikalität voraus - was zur Überraschung des Abends führt.

Denn mit der Akkordeonspielerin Maria Reiter hat er den richtigen Gegenpart gefunden. Die beiden ergänzen sich auf das Vortrefflichste und man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: Ihr Zusammenspiel, das Reiter mit musikalischer Ironie bricht oder tiefer betont, oder ihre Kommunikation, mal gestisch, mal musikalisch. Wer also glaubte, das Programm würde nur aus einer Wilkening-Show bestehen und Reiter darf in den Verschnaufpausen des Meisters ein bisschen das Publikum unterhalten, der sah sich gut überrascht. Schön, wie sie leise den Queen-Klassiker "We are the Champions" anspielt und Wilkening die Muskeln spielen lässt. Das ist listig und komisch zugleich. Wilkening - das Kind im Manne ist bei ihm auch sehr lebendig - weiß für seine Komik selbst einfache Gerätschaften zu nutzen. Etwa den Ständer für seine Gedicht-Unterlagen. Je nach Gebrauch zieht er ihn hoch oder runter, allerdings in der gleichen Geschwindigkeit, die auch sein bewegter Körper hat. So entsteht der seltsame Eindruck eines bizarren Eigenlebens, den dieser Gegenstand hat. Man will gar nicht wissen, wie lange Wilkening proben musste, um das richtige Timing herauszufinden. Es ist einfach schön anzusehen.

Das Publikum im Bosco in Gauting verfolgte gebannt die musikalische Lesung. (Foto: Nila Thiel)

Ringelnatz, Morgenstern und am Ende auch noch Robert Gernhardt, Max Kruse und Axel Hacke umfassen den literarischen Kosmos des Programms. Fast zwei Stunden arbeiten sich die beiden Künstler auf der Bühne ab, mit sichtlicher Freude und mit großer Hingabe. Letzter Höhepunkt sind die Dada-Vierzeiler von Kurt Schwitters, die das Publikum zu Beifallsstürmen hinreißen. Danach ist nur noch Applaus und wildes Getrampel.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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