Gauting:Kochen ohne Betreuer

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Stolz auf ihre Wohngemeinschaft sind (v.r.) Michael Wünsch, Erich Zimmermann, Markus Wilfert und Betreuerin Bettina Zimmermann. (Foto: N/A)

In der ersten Außenwohngruppe der Lebenshilfe üben Menschen mit geistiger Behinderung Eigenständigkeit

Von Blanche Mamer, Gauting

"Der Michi hat den ersten Text", sagt Erich Zimmermann. Also begrüßt Michael Wünsch, mit 29 Jahren der Jüngste, die Besucher der Hausgemeinschaft in der Elisabethstraße in Gauting. Seit Anfang August lebt er in der Außenwohngruppe für Menschen mit einer geistigen Behinderung, die von der Lebenshilfe Starnberg als erste ihrer Art im Landkreis eingerichtet wurde. Ein wenig aufgeregt ist er, denn Mitarbeiter, Eltern, Freunde und Nachbarn sind eingeladen.

"Wir hatten großes Glück mit dem Haus. Es ist 240 Quadratmeter groß und war bereits energetisch saniert. Und die Eigentümerin war sofort bereit, an uns zu verkaufen", berichtet Lebenshilfe-Geschäftsführerin Edith Dieterle. Ein Jahr lang habe sie im Landkreis nach einem geeigneten Haus gesucht. Es sollte einen Garten haben, möglichst im Ort liegen, mit Ärzten und Geschäften in der Nähe und es sollte mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein.

"Wir wollen den Bewohnern Eigenständigkeit und größtmögliche Selbstbestimmung bieten", sagt die Einrichtungsleiterin Maria Mahr. Jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer, Wünsch hat sogar ein kleines Apartment mit Küchenzeile unterm Dach im zweiten Stock, in das er die Besucher mit sichtlichem Stolz führt.

Gekocht wird gemeinsam in einer Küche, es gibt ein Gemeinschaftszimmer und im Büro im Untergeschoss finden sich neben einer Playstation auch zwei Ausziehcouches, falls Freunde übernachten wollen. Drei Männer und eine Frau haben sich für das Leben in der Kommune entschieden, drei weitere sollen bis Ende des Jahres dazukommen. Die Bewohner kennen sich von der Arbeit in den Isar-Würm-Lech-Werkstätten für Behinderte in Machtlfing.

Fast alle haben zuvor in einem Wohnheim gewohnt, nur einer kommt gleich von daheim. Kein leichter Schritt. Denn hier in Gauting ist Schluss mit der Betreuung rund um die Uhr. "Ich war schon in drei Wohnheimen und habe es auch schon allein probiert. Doch das war zu schwer", erzählt Markus Wilfert. Für die Wohngemeinschaft hat sich der 42-Jährige sofort begeistert. Allein und doch nicht allein - das könnte klappen. Die Bewohner haben sich selbst handschriftlich bewerben und ihre Gründe und Ziele formulieren müssen, berichtet Maria Mahr.

Ein Novum ist, dass die Bewohner nachts alleine sind. Vorerst gibt es in der Früh noch eine Betreuung, doch im November soll damit Schluss sein. "Ich mache mir Sorgen, dass ich mal verschlafe", befürchtet Markus Wilfert. Auch Michael Wünsch zweifelt, ob er immer rechtzeitig fertig wird für den Bus um 7.10 Uhr. Auch für Maria Mahr ist die neue Situation nicht so einfach. Im Wohnheim war sie 24 Stunden für ihre Schützlinge da. Nun muss sie loslassen und gehen, wenn sie nicht gebraucht wird. "Am Tag nach dem Einzug haben sie mich mit einem gedeckten Frühstückstisch empfangen, hatten frische Brötchen geholt und Kaffee gekocht", erzählt sie. Da sei sie sicher gewesen, dass sie es schaffen würden. Und es zeigten sich schon echte Wohngemeinschaftsstrukturen ab: So kann die Diskussion über den Essensplan schon mal zwei Stunden dauern, die Entscheidung über Ausflüge am Wochenende sogar noch länger.

Die Nachbarschaft sieht die Veränderung mit Wohlwollen. "Endlich ist die dunkle Fichtenhecke weg. Jetzt sieht man das Haus und in den Garten", sagt eine Anwohnerin. Einige alte Bäume mussten gefällt werden, ein paar Stauden und ein Obstbäumchen wurden dafür nachgepflanzt. Im kommenden Frühjahr sollen die Bewohner den Garten fertig anlegen und auch selbst Gemüse anpflanzen. Die Lebenshilfe sucht nun nach einem zweiten Haus, vorzugsweise im Westen des Landkreises.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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