Literarischer Herbst:Holzheimer und der Sauhaufen

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Zu Fuß durch Gautings Geschichte: Gerd Holzheimer (Mitte) und Sprecher Matthias Friedrich (rechts) mit der lateinischen Bild-Zeitung. (Foto: Arlet Ulfers)

Der Schriftsteller erzählt bei einer Exkursion die ganze Wahrheit über Gauting

Von Gerhard Summer, Gauting

Eine der schönen Ideen, die Gerd Holzheimer bei dieser vergnüglich schrägen Exkursion vorträgt, geht ungefähr so: Um Papst Franziskus zu einem längst überfälligen Besuch in Gauting zu bewegen, würde er gerne eine "Papsteinladungsgruppe" gründen. Ihre Mitglieder könnten schon mal auf dem grünen Pippinplatz niedersinken, "den Boden küssen und damit eine Massenhysterie auslösen". Warum sich Franziskus so dringend Richtung Würm aufmachen sollte? Weil der vatikanische Kirchenstaat mehr oder minder eine Gautinger Kolonie ist, und bedauerlicherweise keiner der letzten drei Päpste die Gelegenheit nutzte, dieser großartigen Gemeinde seine Aufwartung zu machen.

Literarischer Herbst, der vierte Streich. Nach dem abgefahrenen Auftakt im Hotel Bayerischer Hof in Starnberg geleitet Holzheimer diesmal eine kleine Gruppe durch seinen Wohnort. Es geht um die "wahre Geschichte Gautings", aber was ist schon wahr und was nur gut erfunden, schlecht gefälscht, fehlinterpretiert, hypothetisch oder irgendwie gerade noch plausibel? Schwierige Frage. Holzheimer, der ehemalige Gymnasiallehrer, kostet sie in vollen Zügen aus und dreht das Ganze dann oft noch ins Absurde. Erste Station ist an der Ecke Römerstraße/Waldpromenade. Schauspieler und Sprecher Matthias Friedrich tritt dort als römischer Legionär im Anzug auf und erfährt aus der lateinischen Bild, dass Odoaker Rom gestürmt hat. "Wahnsinn, jetzt reicht's" (Dementia, nunc satis est). Unschöne Sache, denn damit sind auch die Gehaltszahlungen aus der Zentrale futsch. Was tun? Der Römer macht mit seinem keltischen Gspusi eine Pizzeria auf. Weiter geht's zu Holzheimers Wohnhaus, dort hat der Autor ein "Wahrheitskastl" aufgebaut, im Wesentlichen eine Weinkiste mit der legendären Bild-Schlagzeile "Wir sind Papst" und einer kleinen winkenden Benedikt-Figur. Schließlich macht die Gruppe noch vor der Frauenkirche Halt ("wir stehen auf den Gräbern von Bajuwaren"), speist Pizza mit Wildschweinsalami und kehrt im Laden "Wein und Geist" ein. Denn Wahrheit, so eines der Holzheimerschen Axiome, lässt sich mit Wein besser ertragen.

Natürlich ist das vor allem ein Ausflug für Gautingologen, die sich für Geschichte interessieren. Holzheimer und Friedrich berichten von Pippin dem Kurzen und dessen Schenkung an den Papst (dem vatikanische Korridor von Ravenna bis Rom). Von Ost- und Westgoten, Langobarden und dem unermesslich großen Genpool der Bajuwaren, da ist schlicht alles drin, was nicht bei drei auf den Bäumen war: Böhmen, fußkranke Hunnen, Schwaben, Markomannen und sogar Preußen. Wissenschaftler sprechen deshalb gern auch von der "Sauhaufentheorie". Und natürlich geht es um Pippins Sohn, Karl den Großen, der angeblich in Gauting geboren ist, was aber noch ein paar andere Orte für sich beanspruchen. Das eigentliche Erlebnis an diesem wundersamen Ausflug ist freilich Holzheimer selbst, der verschmitzt, sehr fundiert und mit ansteckendem Sinn für Komik durch die Untiefen der Historie geleitet. Mehr davon!

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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