Gauting:Herausforderung Alzheimer

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Kulunka Teatro zeigt den Alltag mit Demenz

Von Ute Pröttel, Gauting

Mühsam versucht der alte Mann, seiner an Demenz erkrankten Frau Socken und Mantel anzuziehen. Ihm fällt es schwer, sich zu bücken, sie streift die Socken immer wieder über die Hände, will sie nicht an den Füßen tragen. In den Mantel schlüpft sie verkehrt herum. Zuguterletzt setzt sie die Handtasche als Mütze auf den Kopf. Es ist zum Verzweifeln. Der alte Mann gibt auf. In einer einzigen Szene gelingt es der Theaterkompanie Kulunka, die Schwierigkeit darzustellen, die die Pflege von Alzheimerpatienten mit sich bringt. Keine Musik untermalt die Szene, kein Wort wird gesprochen. Der Kopf, auf den die alte Frau ihre Tasche setzt, ist eine Maske mit ausgeprägter Physiognomie: deutliche Falten, eine freche Himmelfahrtsnase und graues Haar.

In ihrem Theaterstück "André & Dorine" erzählt die spanische Gruppe Kulunka Teatro ohne Worte und Mimik die Geschichte eines Ehepaares, dessen eingefahrener Alltag mit der Diagnose Alzheimer eine neue Herausforderung erfährt. Damit bringen sie ein Thema auf die Bühne, das sich tausendfach in den Wohnzimmern auf der ganzen Welt abspielt. Der Verlust von Erinnerung und der körperliche Verfall sind die eine Seite, die Überforderung und Trauer der pflegenden Familienangehörigen die andere. Kulunka Teatro gelingt es auf anrührende Weise, das darzustellen, und das mit Humor und Tempo. Keine Minute zu lange ist das Stück, das von nur drei Darstellern gespielt wird.

Während Dorines Gedächtnisverlust es ihr schließlich unmöglich macht, Cello zu spielen, gelingt es André, die Erkrankung dank der Erinnerung an glücklichere Tage zu akzeptieren. In fröhlichen Rückblenden zeigen die drei Schauspieler, wie der schüchterne Schriftsteller André und die selbstbewusste Cellistin Dorine sich einst kennengelernt haben, im Eifer der Leidenschaft schnell ein Kind gezeugt war und Dorine als Braut mit schwangerem Bauch das Missfallen des Pfarrers auf sich zog. In Windeseile müssen die Darsteller ihre etwas zu groß geratenen Masken hinter der Bühne wechseln. Rhythmische Akkordeonmusik begleitet sie dabei.

In einem Schauspiel ohne Worte sind Musik und Licht besonders wichtig. Die im Vordergrund der Bühne erzählten Rückblenden sind in warmes Spotlicht getaucht. Der Alltag findet im voll ausgeleuchteten Wohnzimmer statt. Bemerkenswert ist auch, wie eindeutig es gelingt klarzumachen, hinter welcher Türe der Kulisse sich die Toilette befindet, die Dorine einmal in schrecklichem Zustand zurücklässt, so dass André mit Putzfeudel und blauen Gummihandschuhen loslegt. Auch das ein Moment, in dem es im Theater beklemmend still ist. Bei den Akteuren sitzt jede Geste, jeder Schritt. Besonders die Darstellungskunst der 35-jährigen Garbine Insausti zeugt von genaustem Studium demenzkranker Menschen und deren Verhalten. Auch José Dault und Eduardo Carcamo begeistern mit ihrem Spiel, in dem jeder einmal die Rolle des André oder des Sohnes übernehmen muss. In insgesamt 15 Rollen schlüpfen die drei Schauspieler. Kulunka Teatro lässt das Publikum schwanken zwischen Betroffenheit und Begeisterung, am Ende gibt es langen Applaus.

Seit sieben Jahren treten die Spanier mit ihrem Stück auf, sie gastierten in mehr als 20 Ländern und wurden auf verschiedenen Theaterfestivals ausgezeichnet. Gerade kommen sie aus Florenz, wo sie vier Abende in Folge am Teatro Rifredi auftraten. Von Gauting aus geht es nach Landsberg und dann zurück nach Spanien. Im Mai kommen sie erneut nach Bayern und werden auf dem Figurentheater-Festival in Nürnberg ihr neues Stück "Solitudes" vorstellen.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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