Gauting:Heiliges Theater

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Der Schriftsteller Gerd Holzheimer baut jedes Jahr eine Krippe auf, die die Weihnachtsgeschichte augenzwinkernd weiterführt

Von Carolin Fries, Gauting

Das Zirpen der Grillen ist im ganzen Haus zu hören. Für die Familie Holzheimer ist es der Klang von Weihnachten. Steht das Terrarium mit dem Reptilienfutter hinter dem Aquarell, welches die Stadtkulisse Jerusalems zeigt am linken Rand der fast zimmergroßen Krippe, kann es beginnen, das heilige Theater. Das feste Ensemble haben der Schriftsteller und seine Frau über viele Jahre erweitert und ergänzt. Inzwischen nimmt die Krippe am Fuße des Christbaums die gesamte Bibliothek des Gautinger Einfamilienhauses ein, für Besucher rückt Holzheimer Stühle und Kissen zurecht, um das längst auch elektrisch gesteuerte Spektakel betrachten zu können.

Zunächst gleicht die Szenerie einem Wimmelbuch Ali Mitgutschs. Der Blick für die Details muss sich erst schärfen, umso größer aber ist schließlich die Freude über die zahlreichen Entdeckungen, die es auf der mit Moos ausgelegten Bretterkonstruktion zu machen gibt. "Unverstrahltes Moos", wie Inge Holzheimer betont, "noch vor Tschernobyl geerntet". Die Keimzelle bildet freilich der Stall, ein Zigarrenkasterl aus dem ehemaligen Lebensmittelgeschäft der Großeltern des Schriftstellers. Maria und Josef wachen neben Ochs und Esel über das Jesuskind - soweit so gut. Doch wo bleibt die Lebenslust angesichts des feierlichen Ereignisses? Während Maria biologisch einwandfreien Apfelsaft zur Seite gestellt bekam, steht neben Joseph eine Flasche Bier. "Männern tut das gut nach so viel Aufregung", weiß Holzheimer.

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(Foto: Nila Thiel)

Die Krippe gleicht einem Wimmelbild.

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(Foto: Nila Thiel)

Auch echtes Gold darf nicht fehlen.

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(Foto: Nila Thiel)

Die Ökokiste hat auch ihren Platz in der Krippe.

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(Foto: Nila Thiel)

Die neueste Errungenschaft auf dem Donnerbalken.

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(Foto: Nila Thiel)

Die Blasmusik kommt zum Gratulieren.

Eine Krippe, so dachte er einst, sei etwas für Spießer. Als Bub habe er sie zwar immer gerne betrachtet, doch auch nie vermisst, als sie nach dem Tod des Vaters jahrelang verpackt blieb. Erst als er selbst eine Familie hatte, begann er weiterzuführen, was seine Eltern in den 50er-Jahren begonnen hatten: Jedes Jahr wuchs die großelterliche Krippe um eine Figur. Meist begleitet von seiner Tochter Clara fuhr er auf den Münchner Christkindlmarkt und ließ sich ein Schaf oder einen Hirten einpacken. Bis die Diskussionen begannen: Die weiblichen Familienmitglieder beklagten die Frauenquote, auch wurde Kritik an der allzu abendländischen Kulisse geäußert. "Zunehmend ist uns bewusster geworden, wo dieses Heilige Land liegt", erzählt Holzheimer. Also wurde die Krippe erweitert: Auf zwei Küchenblechen Sand, den Holzheimer von einer Künstlerreise aus der Sahara mitbrachte, ziehen nunmehr Elefanten und Kamele durch die Wüste, ein paar "fesche Muslima" ergänzen die Szenerie. Im Hintergrund steht das Terrarium mit den Grillen, darauf dreht sich ein tanzender Derwisch in Kreisen.

Um das Gleichgewicht zwischen Morgenland und Abendland wieder herzustellen, hat Holzheimer in den Folgejahren eine bayerische Blasmusik integriert und ein Marterl, an dem ein paar Ski lehnen. Und an die Wand des heiligen Stalls war ratzfatz eine Hirschtrophäe genagelt. Es ist ein hübsches Durcheinander, welches sich dem Besucher offenbart, und jedes Jahr erlaubt sich jemand den Scherz, und verstellt die hölzernen Wegweiser, so dass die Hirten und Könige zu irrenden Gesellen werden. Einen halben Tag dauert der Aufbau, der traditionell an Heiligabend kurz vor 12 Uhr beginnt. Inzwischen gibt es Pläne, was an der nicht ganz unkomplizierten Elektrik liegt. Eine Idee des inzwischen verstorbenen Nachbarn Rudolf Graser, der es sich zur Aufgabe machte, einen Bach durch die Landschaft plätschern zu lassen. Und auch andere Bekannte und Freunde beteiligten sich am Gesamtkunstwerk. Die Gautinger Künstlerin Rosemarie Zacher etwa steuerte eine Ökokiste bei, schließlich müsse sich die junge Familie gesund ernähren. Holzheimer selbst entdeckte die Krippenstraße von Neapel, die er nach eigenen Worten leer kaufen könnte. Mitgenommen hat er einen Angler, der aus Grasers Bach eine Forelle zieht, sowie eine Frau, die in einem Trog ihren Sohn wäscht - für ihn zweifellos Elisabeth, die Johannes den Täufer abseift.

Schriftsteller Gerd Holzheimer. (Foto: Nila Thiel)

Andere, scheinbar belanglose Details, gewinnen erst durch ihre Geschichte an Bedeutung, wie etwa der kleine Goldbarren, den die Familie im Preisausschreiben gewann und den seither die Könige an die Krippe bringen oder der dampfende Kessel über der Feuerstelle. Auf die Frage "Geht's noch?", würde der 66-Jährige übrigens gelassen antworten: Ja, da geht noch was. Am Tag vor Heiligabend hat er heuer eine Besetzung für das Plumpsklo erstanden, die Hose hängt dem jungen Burschen bereits in den Kniekehlen. An Weihnachten diskutierte die Familie übrigens, ob man fortan nicht besser die Tür des stillen Örtchens schließen sollte. Trotz der hübschen Beleuchtung und der Mini-Zeitung.

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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