Gauting:Geraubt und gestohlen

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Die Autorin Tanja Weber liest in Gauting aus ihrem neuen Roman "Die Frauen meiner Familie"

Von Blanche Mamer, Gauting

Das Bild von der bunten Frau mit den schrägen Augen hielt sie vom Einschlafen ab. Das dachte Elsa, als sie klein war. Denn ganz gleich, ob sie auf der Seite lag oder auf dem Rücken, sie konnte ihre Augen nicht von dem Frauenkopf abwenden. "Mon Amour" hieß das Bild, das in der Schwabinger Wohnung ihrer Großeltern hing, in eben dem Zimmer, in dem sie immer übernachtete. Es zeige Elsas Urgroßmutter Anneli Gensheim, wie ihr Oma Regine immer erzählt hat. Nun ist Elsa erwachsen, Kunsthistorikerin und für eine Versicherung tätig. Sie soll einem Kunstdiebstahl nachgehen, bei dem auch das kleine Gemälde gestohlen wurde, das sie so gut kennt. Der Maler hieß Rudolf Newjatev, war ein Adept des Expressionisten-Kreises "Der Blaue Reiter" und einige Jahre zuvor wiederentdeckt worden.

Das ist der Ausgangspunkt des neuen Romans von Tanja Weber "Die Frauen meiner Familie"(Droemer Verlag). Die Idee für die Geschichte gehe zurück auf das Jahr 1992, berichtet die Autorin bei der Premieren-Lesung in der Buchhandlung Kirchheim in Gauting. Das war bei der Ausstellung "Entartete Kunst - Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland" im Frühjahr 1992 in Berlin. "Die Ausstellung hat mich zutiefst getroffen. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass Bilder eine Seele haben." Und seitdem habe sie das Thema nicht mehr losgelassen. 1997 hat sie ein Filmdrehbuch über die mit Füßen getretenen, ihrer Wurzeln beraubten Bilder und die vergessenen, oft ermordeten Besitzer geschrieben. Der Film sei nie gedreht worden, das Thema blieb. "Als 2012 die Beschlagnahmung der Sammlung des Schwabinger Kunsthändlers Cornelius Gurlitt öffentlich wurde, wusste ich, dass ich das Buch schreiben musste." Zumal es immer wieder Berichte gab über jahrelange Lügen zu sogenannten wichtigen Familienerbstücken, die eigentlich aus der Beutekunst der Nazis stammten. "Das Leben hatte mein Buch eingeholt, das fand ich schon erstaunlich", sagt die Autorin, die mit ihren Kriminalromanen bekannt wurde. Klar also, dass sie Spannung gut kann.

Elsa Hannapel findet heraus, dass ihr Vater das wertvolle Erbstück an einen dubiosen Sammler verkauft hat. Und sie erfährt, dass das Modell für das Portrait nicht ihre Urgroßmutter gewesen sein konnte. Parallel zur Jetztzeit wird die Geschichte von Anneli Gensheim erzählt: In Ichform berichtet die Arzttochter anschaulich über das Leben in einem fortschrittlichen sozialdemokratischen Haushalt und von ihren ersten Versuchen, durch Fürsprache des Herrn Papa als Reporterin in der Lokalredaktion der "Münchener Post" Fuß zu fassen. Schließlich wird sie Gerichtsreporterin, in ihrem ersten Bericht geht es um die Mordanklage gegen den Maler Newjatev, von dessen Schuld sie fest überzeugt ist.

In atmosphärisch dichten Bildern bereitet Weber das Aufkommen der Nationalsozialisten auf, auch den Aufstieg von Annelis Schwager, des Kunsthändlers Siegfried Schuster, für den wohl Hildebrand Gurlitt Pate stand. Bei dem beschriebenen Bild selbst habe sie den Frauenkopf von Alexej von Jawlensky vor Augen gehabt, Newjatev sei erfunden, sein Schicksal aber nicht. Geschickt verwebt die Autorin historische Fakten mit fiktiven Begebenheiten und bringt auch dem Leser, der sich sonst nicht für Raubkunst interessieren würde, das Thema nahe. Und insinuiert, dass es nichts schadet, die Herkunft von Familienschätzen zu hinterfragen.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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