Gauting:Erschreckt vom roten Pullover

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Die Flüchtlinge Tigist und Rigat bringen viel Lebensfreude mit, doch sie haben auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Marta Friedt (rechts) hilft ihnen. (Foto: Nila Thiel)

Die Betreuer von jungen Flüchtlingen müssen sich mit Ängsten, fremden Gepflogenheiten und einer ausgeprägten Anspruchshaltung vertraut machen. Manchmal üben die Familien Druck aus

Von Christiane Bracht, Gauting

Viele Flüchtlinge haben wohl die Vorstellung von Deutschland als gelobtem Land, in dem Milch und Honig fließt. Auch die 18 jungen Frauen, die das Caritas-Mädchenheim in Gauting aufgenommen hat, sind mit dieser Idee hergekommen. Vielen hat dies sicher die schwierige Flucht erleichtert. Doch jetzt müssen sie langsam lernen, dass die Realität anders aussieht. Für die 16- bis 18-Jährigen eine harte Erkenntnis. Aber auch die Betreuer tun sich nicht leicht, die Jugendlichen einerseits willkommen zu heißen und ihnen das Gefühl der Geborgenheit zu geben, damit sie sich von den Strapazen ihrer Flucht erholen können, und andererseits den Neuankömmlingen mit ihren überzogenen Erwartungen die Grenzen zu zeigen.

"Streicheln tut ihnen gut, das merkt man. So gewinnen sie Sicherheit", erklärt die Leiterin des Caritas-Jugendbüros in Gauting, Marta Friedt. Die Pädagogen haben aber auch schnell gemerkt, dass ihre neuen Schützlinge nicht nur schwach und hilfsbedürftig sind; sie haben auch einen starken Willen und stellen Ansprüche, manchmal sogar sehr massiv: "Sie machen uns Druck", sagt Friedt den Mitgliedern des Jugendhilfeausschusses bei einem Rundgang. "Das haben sie gelernt. Und das ist wohl auch ein Grund, weshalb ihre Flucht gelungen ist." Und an der Art, wie sie es sagt, wird klar, dass sich die Erzieher damit nicht leicht tun.

Im Lauf der Zeit haben sie gemerkt, dass hinter den Mädchen ganze Familienclans stehen, die den Jugendlichen per Telefon Druck machen. Viele sind offenbar für viel Geld mit dem Auftrag von Afrika nach Deutschland geschickt worden, dass sie hier zum Beispiel Ärzte werden, viel Geld verdienen und es ihrer Familie nach Hause schicken. "Und die Familie hat großen Einfluss in den Ländern, aus denen sie kommen", weiß Friedt. Anfangs war sie überrascht über die Erwartungen und realitätsfernen Forderungen der Mädchen.

Was die Arbeit der Pädagogen noch zusätzlich erschwert, ist, dass die Flüchtlinge sich in München und Umgebung inzwischen zu Communities zusammengeschlossen haben. Sie treffen ihre Leidensgenossen aus demselben Land, man hilft sich gegenseitig, tauscht sich aus, natürlich in der eigenen Sprache. Doch was zunächst positiv klingt, hat zuweilen massive Nachteile: Erzählt zum Beispiel einer, er habe eine Zwei-Zimmer-Wohnung bekommen und neue Möbel, dann fragen sich die anderen, warum sie das nicht auch bekommen. Oder wenn einer erklärt: "Das hat mein Betreuer geschafft, warum schafft das deiner nicht?" Kommen die Mädchen dann ins Heim zurück, stellen sie entsprechende Forderungen, die die Pädagogen so nicht erfüllen können. "Es kursieren inzwischen viele Gerüchte und es ist schwer, den Jugendlichen zu erklären, dass sich die Zeiten geändert haben. Vor vier Jahren war es einfacher, Flüchtlingen eine Wohnung zu beschaffen, doch jetzt ist es praktisch unmöglich. In ihrer Not sehen sie aber nicht, was es bedeutet, dass nun so wahnsinnig viele nach Deutschland kommen", sagt Friedt. Sie betont aber auch, dass es viele gibt, die dankbar seien, für alles was man ihnen gibt. Die Mädchen seien eben sehr unterschiedlich, so wie die Kulturen aus denen sie kommen .

Junge Syrerinnen sind bisher in Gauting nicht untergebracht, dafür Teenager aus Somalia, Afghanistan, Iran, Irak, Äthiopien, Ostturkistan und Kenia. Die Hälfte der Mädchen, die momentan auf dem Caritas-Gelände an der Starnberger Straße untergebracht sind, kommen aus Eritrea. In drei gemischten Gruppen werden sie betreut. Zwar sind sie sehr selbständig, wenn sie im Mädchenheim ankommen, denn sie waren ja lange allein unterwegs, aber sie brauchen Unterstützung, um mit dem Alltag hier zurecht zu kommen. "Unsere Kultur ist ihnen sehr fremd", sagt Friedt. So waren die Betreuer zunächst sehr verwundert darüber, dass die Eritreerinnen nach dem Händewaschen manchmal stundenlang das Wasser laufen ließen, anstatt den Hahn zuzudrehen. Erst als sie erfuhren, dass in dem ostafrikanischen Land stehendes Wasser giftig ist, konnten sie den Grund für die Wasserverschwendung erkennen. Trotzdem erfordert es viel Geduld, die Jugendlichen davon zu überzeugen, dass dies bei uns anders ist. "Aber sie wollen sich hier in Deutschland in die Gesellschaft integrieren", weiß Friedt.

Kurios war wohl auch die Situation für eine andere Pädagogin, die eines Tages mit einem roten Pullover in die Arbeit kam: Als ein Mädchen sie sah, zuckte sie zusammen und war kaum noch zu beruhigen. Es stellte sich heraus: Rot bedeutet in ihrer Kultur etwas Böses, erzählt Friedt. "Je besser wir geschult sind, um so leichter ist unsere Arbeit."

Den Mädchen bedeutet es viel, wenn sie von ihrer Heimat und ihrer Kultur erzählen dürfen, weiß die Sozialpädagogin. Das Zuhören zeugt von Respekt und es gibt ihnen das Gefühl, dass jemand Interesse an ihnen hat. Über ihre Traumata reden die 16- bis 18-Jährigen aber nicht. Auch über den Druck, den ihre Familien machen, schweigen sie ebenso wie auf die oft gestellte Frage, wie viel sie für ihre Flucht zahlen mussten. "Sie wissen ganz genau, was sie sagen oder tun müssen, um ein Bleiberecht zu erhalten", hat Friedt festgestellt. Man schiebt sie zum Beispiel nicht ab, wenn sie schwanger sind. Kein Wunder, dass ein großes Ziel vieler Mädchen darin besteht, Kinder zu bekommen. Das sei aber nicht nur Berechnung. In den Ländern aus denen die Jugendlichen kommen, sei es meist normal, schon in jungen Jahren viele Kinder zu haben. Und dann bedeute ein Baby für viele Mädchen, dass sie nun eine Familie haben, wo sie doch die eigene zurückgelassen haben und oft schmerzlich vermissen.

Im Fokus steht für Mädchen und Betreuer aber erst einmal, Deutsch zu lernen. Integration geht schließlich nur über Sprache, und die meisten Jugendlichen haben ja viel vor. "Sie sind begeistert, wenn sie lernen dürfen", sagt die Leiterin der Einrichtung. Dauert es zu lange, bis sie einen Platz im Deutschkurs bekommen, werden sie sogar ungeduldig. Und da die Vermittlung immer schwieriger wird, weil zu viele Flüchtlinge auf einen Kurs warten, will das Mädchenheim nun eine eigene Deutschlehrerin einstellen, die den jungen Frauen die Grundbegriffe beibringt. Keine leichte Aufgabe, denn die Bildung der Teenager ist sehr unterschiedlich: Die einen sind Analphabeten, haben noch nie eine Schule besucht und tun sich folglich ein wenig schwer mit dem Lernen, andere haben dagegen sogar einen High-School-Abschluss.

Fragt man Friedt, ob angesichts der großen kulturellen Unterschiede überhaupt eine Integration gelingen kann, zeigt sie sich sehr zuversichtlich: "Begegnet man den Flüchtlingen auf Augenhöhe, kann man viel voneinander lernen." Vor allem die Freude am Leben, die besonders die Afrikanerinnen mitbringen, fasziniert die Sozialpädagogin. "Wenn man sieht, was diese Leute eigentlich alles erlebt haben, und trotzdem lachen sie oft, laden sich gegenseitig ein, hören Musik und tanzen. Sie zeigen uns, wie schön das Leben sein kann und dass es sich lohnt, gemeinsam zu lachen und Spaß zu haben." Das wirke einfach ansteckend.

Aber natürlich müssten sich vor allem die Flüchtlinge unserer Kultur anpassen. "Das wollen sie auch. Sie wollen hier ankommen und etwas zu unserem Leben beitragen", weiß Friedt. Ein afghanisches Mädchen habe sich zum Beispiel so auf ihre neue Freiheit gefreut, dass sie sich als erstes rote Schuhe und Schminke gekauft hat, erinnert sich die Leiterin des Caritas-Jugendbüros. In ihrer Heimat sei rot für Frauen nicht erlaubt, schminken auch nicht. Andere legen sofort ihre Kopftücher ab, zumindest aber tragen sie sie viel lockerer. "Wenn die Integration gelingen soll, ist nur wichtig, dass man den Leuten eine Struktur gibt und sie nicht allein lässt", weiß die Sozialpädagogin.

© SZ vom 30.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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