Gauting:Erhellende Enthüllung

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"Man verliert die Angst vor dem Fremden, wenn man ihm begegnet": Johannes Volkmann und Arafat Hassan Mohammed bei der Vernissage im Bahnhof. (Foto: Nila Thiel)

Flüchtlinge äußern bei der Kunstaktion "Die innere Stadt" ihre Wünsche und Sorgen

Von Patrizia Steipe, Gauting

Kunstvoll waren die 19 Bilder in Packpapier gewickelt. Alle sahen anders aus, mal warf das Papier malerische Falten, mal polsterte es die Ecken weich aus, dazu waren die Objekte mit blauer Schnur verknotet und zugebunden worden.

Johannes Volkmann hatte sie für die Kunstaktion "Die innere Stadt" an die Wände des Gautinger Bahnhofs gehängt. Da warteten sie darauf, enthüllt zu werden. "Firma Zusammenkunst" hat der Klingepreisträger seine neue künstlerische Betätigung genannt. "Es ist eine Gesellschaftsinszenierung", sagte der Künstler bei der Vernissage und verriet, dass es um die "künstlerische Erfassung" von Flüchtlingen gehe, um die Suche nach Begegnungen und Beziehungen. "Man verliert die Angst vor dem Fremden, wenn man ihm begegnet", lautete die These Volkmanns.

Gemeinsam mit Helfern des Förderkreises Asyl waren Flüchtlinge im Vorfeld in den Unterkünften zu ihrer Lebenssituation befragt worden. Ihre Wünsche und Sorgen schrieben sie nach der Übersetzung aus ihrer Heimatsprache dann in Deutsch auf die Leinwand. Das Thema hatte viele Gautinger und Flüchtlinge zum Bahnhof geführt. Sie warteten gespannt darauf, für einen Betrag von zehn Euro eines der Bilder enthüllen zu dürfen.

Die erste war Bürgermeisterin Brigitte Kössinger. Unter dem Packpapier erschien das "Profilbild" von Ahmed. Der Schlagzeuger ist mit Frau und zwei Kindern vor vier Monaten nach Gauting gekommen. Den Gautingern verriet Ahmed seine beiden Herzenswünsche: als Schlagzeuger zu arbeiten und abzunehmen. Wie Barcodes wirkten die unterschiedlich breiten weißen Papierstreifen, die auf graues Papier geklebt worden waren. Zwischen den Streifen konnten die Flüchtlinge all das notieren, was sie von sich preisgeben wollten. Es waren berührende Geschichten, die von Verlust, Heimweh, von der gefährlichen Flucht und der Sehnsucht nach Frieden handelten. "Ich möchte keine Bomben mehr hören", schrieb die 37-jährige Syrerin Radea. Und sie betonte: "Der Islam ist eine friedliebende Religion und ist für die Liebe zwischen allen Menschen".

Die 39-jährige Shaza aus Syrien hat bereits mit 13 Jahren geheiratet. Ihr Mann ist im Gefängnis getötet worden. Jetzt ist sie mit dreien ihrer fünf Kinder in Gauting. "Ich liebe die Freiheit!", notierte der 23-jährige Afghane Abdullah. Automechaniker möchte er werden und ein "normales Leben führen". Der 20-jährige Iraner Mohamed nutzte das Profilbild, um für sich zu werben: "Wer hat ein Praktikum für mich?", fragte er. Mechaniker oder Friseur sind seine Berufswünsche. Für sein Leben wünscht er sich: "Ein Haus, eine Familie und ein Auto". Besonders berührt waren die Helferkreismitglieder von Saffya. Die 40-jährige Analphabetin wollte unbedingt bei der Aktion mitmachen. Mühevoll fuhr sie die Konturen der vorgezeichneten Buchstaben nach: "Ich möchte gerne Deutsch lernen und von niemanden abhängig sein", lasen die Besucher.

Neben der Ausstellung gibt es in dieser Woche noch ein Rahmenprogramm zur "inneren Stadt". Kinder können am Mittwoch, 15. Juni, zwischen 17 und 19 Uhr im Bahnhof malen oder am 16. Juni zwischen 16 und 18 Uhr mit Gisela Auspurg beim Klangmosaik mit unterschiedlichen Instrumenten mitmachen. Wer die Sprachen der Flüchtlinge kennenlernen möchte, der hat dazu die Gelegenheit am Donnerstag, 16. Juni. In der zeit von 19.30 bis 21 Uhr findet ein Sprachkurs statt. Zur Finissage am Freitag, 17. Juni, von 20 Uhr an im Gautinger Bosco gibt es weitere Bilder zum Enthüllen. Dann wird das mit dem Erlös der Enthüllungen finanzierte und von den Flüchtlingen zubereitete Essen gemeinsam verzehrt. Natürlich erst nach Sonnenuntergang. Schließlich ist gerade der Fastenmonat Ramadan.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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