Gauting:Der diskrete Charme des Bestatters

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Tanja Weber bei einer Lesung im Gautinger Kulturzentrum Bosco. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Tanja Weber lässt sich für ihren vierten Küstenroman von einem florierenden Gewerbe in Gauting inspirieren

Von SABINE ZAPLIN, Gauting

"Gestorben wird immer", hat Sune Hinrichsen immer gesagt und damit auf die Krisenfestigkeit seines kleinen Unternehmens auf der Nordseeinsel Süderum hingewiesen. Hinrichsen ist Bestatter. Vielmehr war Bestatter, denn er hat hinsichtlich seines Wahlspruchs keine Ausnahme gemacht und das Zeitliche gesegnet. Ausgerechnet in dem Moment, in dem sein einziger Sohn Heini einen Fluchtpunkt mehr als nötig hat. Denn hinter Heini ist eine gewalttätige Motorradgang her, seit er dem Anführer versehentlich das Gesicht verunstaltet hat. Denn statt den Betrieb seines Vaters zu übernehmen, ist Heini von der Insel fort und erst einmal um die Welt gezogen. In Hamburg hat er dann ein Tattoo-Studio eröffnet, pikanterweise unter seinem alten Spitznamen, "The Grave". Nun muss er den eigenen Vater zu Grabe tragen. Und aus dem erhofften Erbe wird nichts, denn das angeblich so krisenfeste Beerdigungsinstitut ist hoch verschuldet.

Als auch noch die für Grabschmuck zuständige Floristin in Heini bisher unbekannte Gefühle weckt, kommt er von der Insel so wenig herunter, als hätte eine Sturmflut den Fährverkehr außer Betrieb gesetzt. Immerhin: die Motorradgang kann ihn hier so schnell nicht finden. Glaubt Heini zumindest...

"Und ewig singen die Krabben", lautet der Titel des vierten Küstenromans, den Tanja Weber, die erste Gewinnerin des Gautinger Literaturpreises, gerade als Marie Matisek veröffentlicht hat. Das bewährte Pseudonym zählt wie der leicht alberne Titel des Romans zu den Spielregeln des immer stärker in Sparten agierenden Literaturbetriebs. Die Geschichte um den freakigen Weltenbummler und Tätowierer, der zum Bestatter wider Willen wird, ist höchst unterhaltsam und flott geschrieben. Weber versteht etwas von dramaturgischen Kniffen und facettenreicher Figurengestaltung. Ihre langjährige Erfahrung als Drehbuchautorin kommt ihr da zugute. Zudem beherrscht sie virtuos unterschiedliche literarische Genres: Unter ihrem Namen schreibt sie Kriminalromane, in denen ein Postzusteller in einem Gauting nicht unähnlichen Ort im Münchner Speckgürtel Kapitalverbrechen aufzuklären hilft. Der Erzählton ist anspruchsvoller als in den Küstenromanen, Pageturner und Cliffhanger gelingen der Autorin in beiden Genres. Was "Und ewig singen die Krabben" so charmant macht, ist vor allem die Hauptfigur Heini, der neben seiner Arbeit noch andere seltsame Leidenschaften pflegt, wie das Zusammenleben mit einem Gecko und einer Vogelspinne oder die Begeisterung für einen seltsamen Mannschaftssport namens "Jugger", in dessen Mittelpunkt ein künstlicher Hundeschädel steht. Natürlich wird Heini das Spiel auf die Nordseeinsel importieren. Eine der Mannschaften, die sich dort formieren, nennt sich "Die Kampf-Krabben" - der Romantitel ist also im Grunde ein Jugger-Kampfruf.

Die Phantasie der Schriftstellerin hat aber vor allem die Tatsache angeregt, dass in ihrer Heimatgemeinde Gauting gleich drei Bestattungsunternehmen bestehen. "Nachdem ich vor einigen Jahren die amerikanische Fernsehserie "Six Feet Under" verfolgt habe, in deren Zentrum eine Bestatterfamilie steht, habe ich mich gefragt, was sich hinter der Tür dieser Geschäfte für Dramen abspielen", sagt Tanja Weber. "Was sind das für Menschen, die ihr Leben dem Tod gewidmet haben?" Einem solchen Menschen und seiner - trotz aller unterhaltsamen Volten doch eher tragischen - Familiengeschichte hat sie ihren neuen Küstenroman gewidmet. Und der ist nicht nur für Gautinger Leser höchst lesenswert.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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