Gauting:Barfuß durch den Nebel

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Lea Ruckpaul und Holger Hübner in der Inszenierung von Jan Gehler. (Foto: Treybal)

Das Staatsschauspiel Dresden zeigt im Gautinger Bosco "Bilder deiner großen Liebe" von Wolfgang Herrndorf. Die karge Inszenierung überzeugt, Lea Ruckpaul ist als Isa eine Idealbesetzung

Von Reinhard Palmer, Gauting

Der Titel, den Wolfgang Herrndorf dem Romanfragment kurz vor seinem Freitod gab, ist etwas irreführend. "Bilder deiner großen Liebe" meint keine Liebe zu einem bestimmten Menschen. Er meint vielmehr die Liebe an sich, wem auch immer sie zuteil wird. Oder besser: Die Suche und die Sehnsucht nach der Erwiderung der Liebe, die da in der heranwachsenden Isa brennt, aber irgendwie nicht so recht ankommt.

Mindmapartig umkreist Herrndorf das zentrale Thema, möglicherweise getrieben davon, es selbst verstehen zu wollen. "Ich denke einfach von der falschen Seite", sagt Isa. Das Motiv für Herrndorfs Ergründen? Jedenfalls ist der Weg das Ziel, daher die Geschichte im Grunde ohne Anfang und Ende, auch wenn man nicht umhin kommt, am Schluss Isas Selbstmord herauszudeuten. Die Ankündigung des eigenen Suizids? Dass der Autor das Werk nicht mehr beenden konnte, erscheint doch als dem Werk immanent.

Die Geschichte zeigte sich um so vielschichtiger, als das Staatsschauspiel Dresden unter der Regie von Jan Gehler einen Roman (in der Fassung von Robert Koall) auf die Bühne des ausverkauften Gautinger Bosco brachte. Aber nicht nur die erzählenden Passagen, so klar und geradeaus sie der famosen Hauptdarstellerin Lea Ruckpaul in den Mund gelegt waren, schäumten vor Vieldeutigkeit. Keine der fünf Szenen darin - mit radikalen Filmschnitten aneinander geklebt - erlaubte sich auch nur ein einziges leeres Wort. Und Isa ist klug, manchmal in mädchenhafter Unbekümmertheit geradezu weise. "Ich gehe barfuß durch den Nebel" ist eine der Chiffren für ihre Verlorenheit, die Ruckpaul mit großer Suggestivkraft rüberzubringen vermochte. Auch wenn die Darstellerin 28 Jahre alt ist, gab sie mit grüner Adidas-Trainingsjacke, blauem T-Shirt und schwarzer Trainingshose bekleidet den leichtfüßigen Teenager absolut glaubhaft in ihrer balletterprobten Agilität. Geradezu das Gegenteil zu Holger Hübner. Der gab als "ein Mann" wie ein Fels in Isas Brandung den untersetzten, nicht immer ganz Erwachsenen geradezu empfindsam, wenn er sich nicht gerade gegen Isas Aufdringlichkeit zur Wehr setzten musste. Weißes Shirt, ausgewaschene schwarze Schlabberhose, Hosenträger, ausgetretene Schuhe: auf den ersten Blick nicht gerade ein Objekt der Begierde. Aber ein Halt aus Fleisch und Blut, nach dem sich Isa sehnt.

"Normal ist man nie allein", aber was ist schon normal! Isa ist es offenbar auch nicht, sie ist aus der Irrenanstalt geflohen. "Aber verrückt ist nicht komplett bescheuert", nein, davon überzeugt Isa ihr Publikum. Doch ihre Welt ist eine andere. Ein poetischer Entwurf einer Parallelwelt, durch die Ruckpaul irritierend unbekümmert wandelte. Vom Prinzip her könnte dieses Stück ein permanentes kafkaeskes Scheitern sein, aber dafür ist es nicht drückend, nicht düster genug. Zumindest wenn man Isas Wesen als naiv-engelhaft versteht. Ruckpauls Rolle funktionierte daher nur, weil sie immer wieder ihre schrille Verrücktenbrille sichtbar zu machen vermochte. Subtil, manchmal verschlüsselt. Eine heikle Gratwanderung, bei der es galt, in voller Überzeugung sich selbst ad absurdum zu führen, ohne komisch zu werden.

Letzteres, weil Herrndorfs Roman gespickt ist mit fatalistischen Details. Der Himmel ist schwarz, dunkle Pappeln treiben vorüber, aus dem Rehbockkadaver rinnt schwarzes Blut. Es sind plakative Ikonen. Die einer Geisteskranken, die in den Himmel blickt und einen "Sarg voll Sterne" sieht. Die Kargheit des Bühnenbildes (Sabrina Rox), reduziert auf ein Schattenspiel auf einer riesigen Projektionsfläche, machte die Hoffnungslosigkeit sichtbar. Begeisterter Applaus und Ovationen für Ruckpaul.

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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