Fünfseen-Filmfestival 2019:Magisches Holz

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Benedikt Schultes Dokumentation über Geigenbauer Martin Schleske, der früher in Gauting lebte

Von Gerhard Summer, Gauting

Bei dieser anschmiegsamen italienischen Lady ist der Lack schon ziemlich ab, da muss man sich als Ehefrau doch keine Sorgen machen, oder? "Ja, ach, was heißt Eifersucht?", sagt Young Joo Zimmermann. Ihr Gesichtsausdruck ist unbewegt, nur ihre Ohrringe tänzeln hin und her. Klar, erst war die Dame weg, dann schloss ihr Mann sie wieder in die Arme, "und dann heißt es immer: große Liebe. . ., die Liebe seines Lebens". Zimmermann schaut nach rechts zu ihrem Frank Peter, dann sagt sie in einem Ton, der entschlossen klingen soll und es doch nicht ist: "Aber jetzt richtig Eifersucht, na ja, also."

Die Szene mit den Zimmermanns auf dem heimischen Sofa gehört zu den schönsten in Benedikt Schultes kunstvoller und höchst sehenswerter Dokumentation "Die Seele der Geige", wie Moderatorin Sabine Zaplin ganz zu Recht bei dem anschließenden Gespräch mit dem Regisseur Schulte und dem Geigenbauer Martin Schleske im Kino Gauting anmerkt. Die Dame ist nämlich ein Stück Holz mit vier Saiten dran, allerdings ein verdammt teures: die Lady Inchiquin, die einst der österreichische Virtuose Fritz Kreisler spielte und die jetzt wieder der berühmte Kölner Geiger Frank Peter Zimmermann in Händen hält. Geschätzter Wert: etwa sechs Millionen Euro. Und natürlich ist das trotzdem erstaunlich, dass sich eine Ehefrau, die selbst Geigerin ist, überhaupt mit der Frage beschäftigt, ob sie eine mehr als 300 Jahre alte Kiste aus Fichte, Ahorn und Ebenholz als Konkurrenz betrachtet.

Ein Klangtüftler bei der Arbeit: Benedikt Schulte zeigt in "Die Seele der Geige", wie eine Violine entsteht. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Aber es gibt noch ein paar andere wunderbare Momente in diesem ersten langen, in nur 15 Drehtagen entstandenen Film von Schulte, zum Beispiel nach einem Konzert von Frank Peter Zimmermann. "Jetzt muss ich ihr noch einen Kuss geben", sagt der berühmte Violinist, kichert wie ein Junge, der etwas Merkwürdiges tut, das trotzdem unbedingt getan werden muss, und drückt die gespitzten Lippen auf die Rückseite der Lady Inchiquin. Oder der Werkstattbesuch bei dem Geigenbauer Zeljko Haliti: Als Zimmermann und der Experte feststellen, dass die mehr als 300 Jahre alte Stradivari noch in Bestform ist, fallen sie sich so erleichtert und froh um den Hals, als feierten sie gerade Weihnachten, Pfingsten und Ostern auf einmal.

Schulte zeigt in seinem Film in eindrucksvollen Bildern, wie aus ein paar Stücken Holz magische Musik wird. Er erzählt dabei zwei Geschichten, die parallel verlaufen und trotzdem miteinander verbunden sind, fast so ähnlich wie der Stimmstock Boden und Decke der Violine koppelt: wie Schleske eine Geige baut, die angesichts der seltenen und exzellenten Hölzer eigentlich ein "Formel-1-Rennwagen" sein sollte, dann aber so brav klingt, dass er sie wieder auseinander nimmt und nachbessert, und wie Zimmermann seine Lady zurückbekommt. Die Story ist durch die Medien gegangen. 15 Jahre lang spielt der Geiger seine "Strad", eine Leihgabe der Landesbank WestLB, doch im Februar 2015, drei Tage vor seinem 50. Geburtstag, muss er das gute Stück zurückgeben, weil das insolvente Geldinstitut die Violine versilbern will. Zimmermann leiht sich in der Folge diverse andere "Strads" und eine Guarneri aus, letztere klingt so, "als ob eine viel tiefere Männerstimme zu mir singt". Doch dann passiert, womit der Geiger wohl nicht mehr gerechnet hatte: Das Land Nordrhein-Westfalen kauft die Geige und andere Kulturgüter von der Nachfolgerin der Bank zurück - und überlässt Zimmermann das Instrument 2016 als Leihgabe. Der Kölner kann's nicht fassen, als er die Lady abholt: "Ohhhh, mir bleibt das Herz stehen. . ., das ist doch meine Stimme."

Benedikt Schulte (li.) hier mit Geigenbauer Martin Schleske. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Regisseur hätte bei diesem Thema gleich an zwei Klippen zerschellen können. Andere Filmemacher wären womöglich dem ohnehin nicht zu lösenden Rätsel nachgegangen, warum eine richtig gute Stradivari deutlich besser klingt als zeitgenössische Geigen. Oder hätten sich zu einem Werbefilm über den Instrumentenbauer und Physiker Schleske hinreißen lassen, der vormals in Gauting gelebt hat und immer noch zu den lokalen Helden des Orts zählt. Doch Schulte umschifft das alles souverän: Er zeigt mit Staunen und leicht amüsiert zwei im positiven Sinne völlig verrückte Klangsucher und Klangtüftler, die ein lackiertes Stück Holz behandeln, als wäre es aus Fleisch und Blut, und in ihren Beschreibungen an die Grenzen des ernsthaft Sagbaren geraten.

Die G-Saite der Geige, meint Schleske einmal, müsse ein Knirschen im Ton haben wie Schnee. Oder: "Gewicht braucht die." Und dazu zeigt Schulte den Hund des Geigenbauers, der so dreinschaut, als hätte er das jetzt akustisch nicht ganz verstanden. Das ist Schultes eigentliche Kunst, neben den raffinierten Perspektiven, den eleganten Überblendungen, dem subtilen Humor und dem Gespür für den richtigen Moment: Er geht in exzellenten Bildern, die von ihm und Kameramann Paul Müller-Hahl stammen, nah ran, tritt den Hauptprotagonisten aber doch nie zu nahe.

Im Anschluss sprechen Schulte und vor allem der eloquente Schleske über ihre Arbeit und den Geigenbau, die Unterschiede zwischen Akustik und Klang oder über Analysen, die nahelegten, dass das Holz der alten Violinen nach 300 Jahren Saitenspannung wohl nachlassen werde. Schleske hebt Musik immer wieder auf eine religiöse Ebene, der Solist müsse einen priesterlichen Dienst erfüllen, meint er etwa, und das Publikum segnen. Schulte steht ungerührt neben ihm, es sieht fast so aus, als hätte er einen Hundeblick aufgesetzt.

© SZ vom 07.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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