Frauen in der katholischen Kirche:Maria kommt aus Herrsching

Lesezeit: 3 min

Sieben Thesen, die auf eine gerechte und zeitgemäße Kirche abzielen: Uli Spindler klebt ihr Plakat an die Tür der Nikolauskirche in Herrsching. (Foto: Arlet Ulfers)

Uli Spindler setzt sich für eine moderne Kirche ein, sie will im Bistum Augsburg nun eine "Maria 2.0"-Gruppe gründen

Von Carolin Fries, Herrsching

Sonntags geht Uli Spindler in die Nikolauskirche, das war schon immer so. "Ich bin im Glauben verwurzelt", sagt die 59-Jährige. Sie und ihre Geschwister sind mit der katholischen Kirche groß geworden, entfremdeten sich über die Jahre aber immer mehr. Zu viele Skandale, zu wenig Wahrhaftigkeit. Einige ihrer Familienmitglieder haben sich deshalb von der Kirche abgewandt. Auch Uli Spindler fühlte sich irgendwann sonntags nicht mehr wohl in der Kirche, obwohl sie aus den Gottesdiensten Kraft schöpfte. "Die Institution Kirche und mein Glaube, das sind zwei unterschiedliche Stiefel", erklärt sie. Zu Beginn dieses Jahres beschloss die Industriekauffrau, die Konsequenzen zu ziehen: Uli Spindler schloss sich der Bewegung Maria 2.0 an, einer Verbindung kritischer Christinnen.

Die Herrschingerin schätzt die christlichen Werte, das bedingungslose Miteinander, Aufrichtigkeit, Barmherzigkeit. "Diese Werte will ich leben", sagt sie. Den massenhaften Missbrauch Schutzbefohlener und die mangelnde Bereitschaft der Bischöfe, umfassend aufzuklären - das wolle sie nicht länger als stummes Mitglied mittragen. Bei Maria 2.0, einer "Graswurzelbewegung", traf sie auf Frauen, die wie sie bereit waren, für ihre Werte "in diesem Verein" zu kämpfen. Ziel der Bewegung ist eine Reform der katholischen Kirche. "Für mich war klar: Entweder ich trete aus oder ich werde aktiv", sagt Spindler. Bislang ist sie im Fünfseenland eine Einzelkämpferin.

In sieben Punkten hat die Bewegung ihre Forderungen zusammengefasst, die von einer Abschaffung des Zölibats bis zum nachhaltigen Wirtschaften als Institution reichen. An erster Stelle aber steht der Wunsch, dass alle Menschen Zugang zu allen Ämtern in der Kirche haben sollen. Nicht nur Männer, auch Frauen. "Ein Grundrecht", sagt Spindler. Sie hat die Thesen zuletzt bei einer Maria 2.0-Aktion im Din-A3-Format an die Tür der Nikolauskirche geklebt. Bundesweit wurden mehr als 1000 Kirchentüren bestückt. In Herrsching durfte das Plakat auch in der Kirche an eine Wand, "eine totale Ausnahme", wie Spindler inzwischen weiß. Doch Herrschings Pfarrer Simon Rapp, zugleich Dekan und damit höchster Kirchenvertreter der knapp 24 000 Katholiken zwischen Starnberger See und Ammersee, hatte nichts dagegen.

Spindler hatte Rapp bei seinem Amtsantritt vor knapp sechs Jahren als "betendes Gemeindemitglied" kennengelernt, nicht als Aktivistin. "Machen Sie mal", sagte er nur, als sie ihm nun von der Plakataktion erzählte. "Es ist immer gut, wenn Menschen sich auf den Weg machen und ihre Art zu glauben einbringen", sagt er. Der Augsburger Bischof Bertram Meier hatte sich bereits mit dem Thesenpapier der Presse präsentiert, von seinem Vorgesetzten hatte er also nichts zu befürchten. Als Spindler jedoch erzählte, dass sich das Fernsehen angekündigt habe, wurde Rapp etwas mulmig zumute. Nicht, weil er medienscheu wäre - Rapp hat schon einen TV-Gottesdienst gehalten. Vielmehr hatte er Bedenken, womöglich einen Shitstorm auszulösen. "Da bin ich ein gebranntes Kind", sagt er und erzählt von einem Luther-Text, den er einmal in der Herrschinger Kirche gelesen habe. Danach habe ein Gemeindemitglied "sehr deutlich geäußert, von diesem Ketzer und Kirchenspalter keine Worte mehr im Rahmen einer katholischen Eucharistiefeier hören zu wollen", erzählt Rapp. Er will damit sagen: Das Spektrum der Glaubensrichtungen in der Pfarrgemeinde mit mehr als 6000 Mitgliedern ist groß. Das Plakat an der Kirchentür war schon am Abend der Aktion weggerissen.

In der Pfarrei selbst gab es keine Beschwerde. Spindler war in der "Rundschau", der "Abendschau" und in den "Tagesthemen" mit ihrem Plakat zu sehen, stets den Kirchenaltar im Hintergrund. Rapp sagt, er wolle die Thesen von Maria 2.0 in den Gremien der Pfarrei diskutieren und eine Haltung dazu entwickeln. "Wir müssen in den Dialog", stimmt Spindler zu. Sie habe gelernt, dass es auch in der Kirche wichtig sei, laut zu werden und sich zu trauen.

Im Bistum Augsburg hat die "Maria aus Herrsching" inzwischen eine zentrale Rolle in der Bewegung eingenommen. Sie ist bestens vernetzt, in dieser Woche nahm sie online an einer bundesweiten Gesprächsrunde teil. Ihr Plan ist es, eine Maria-2.0-Gruppe im Bistum zu gründen. "Es ist an der Zeit."

Interessierte können an diesem Freitag, 12. März, 19 Uhr, per Zoom an der Videokonferenz teilnehmen. Die Zugangsdaten können per E-mail an maria2.0-augsburg@email.de angefordert werden.

© SZ vom 12.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: