Feministischer Leseabend:"Erhebt euch, ihr Schönen"

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Literarische Frauenpower in der Freien Kunstanstalt Dießen: Bei der Lesung stellten Carmen Tagliapetra, Juliane Reister, Johrina Hofinger, Ute Kelm, Angelika Lichteneber, Sabine Walter, Monica Calla, Gabi Kerscher und die beiden Organisatorinnen Ulrike Kreutzer und Miriam Anton bewegende Texte vor. (Foto: Nila Thiel)

Um Frauenstimmen auf lokaler Ebene Raum zu geben, haben drei Frauen den Literaturwettbewerb "Einmal bitte alles!" organisiert. Acht Preisträgerinnen präsentierten nun ausgewählte Texte in der Freien Kunstanstalt Dießen, die auch bei Männern ankamen.

Von Renate Greil, Dießen

Zu Ehren der französischen Schriftstellerin Annie Ernaux hat Buchhändlerin Ulrike Kreutzer den feministischen Leseabend "Frauenstimmen" in der Freien Kunstanstalt Dießen mit einem Zitat aus deren Buch "Das Ereignis" eingeläutet: Sie habe sich sehr gefreut, dass die große, tolle Autorin Ernaux mit dem diesjährigen Literaturnobelpreis geehrt wird. Um Frauenstimmen auf lokaler Ebene einen Raum zu verschaffen, organisierte Kreutzer mit Miriam Anton und Victoria Mayer im Sommer die Ausschreibung "Einmal bitte alles!", und Anton betonte: "Wir haben ganz tolle Texte bekommen." Die drei Organisatorinnen wählten aus den Einsendungen sieben feministische Texte sowie ein unterhaltsames Gedicht aus. Alle acht Autorinnen trugen ihre Werke bei der gutbesuchten Veranstaltung selbst vor und ernteten viel Beifall, wobei kein Beitrag dem anderen glich. Allen gemeinsam aber war, dass sie die Zuhörerinnen und vielleicht auch die drei Zuhörer berührten und bewegten.

"Die halbe Welt, das halbe Geld, den vollen Lohn, den halben Thron"

Die Frauenstimmen waren laut, wütend, leise, nachdenklich, betroffen und hoffnungsvoll. Die Landsberger Kabarettistin und Schauspielerin Monica Calla interpretierte das Thema humorvoll, aber nicht weniger nachdrücklich: "Frauen wollen nicht mehr dürfen sollen. Frauen wollen wollen wollen. Denn das 'Dürfen' und das 'Sollen', haben nichts gemein mit 'Wollen'. Und wenn Frauen können sollen, dürfen sie auch wollen wollen." (Auszug). Sie fordert beispielsweise "die halbe Welt, das halbe Geld, den vollen Lohn, den halben Thron" und ein Ende der Misogynie - also Frauen entgegengebrachte Verachtung, Geringschätzung oder Frauenfeindlichkeit. Calla gehört zum Ensemble des Musikkabaretts "Zum blauen Veilchen". Es habe sie genervt, dass Frauen um Erlaubnis fragen müssen, erzählt sie als Hintergrund zu ihrem gekonnt vorgetragenen vielstrophigen Gedicht.

Mit hintergründigem Humor ging die älteste Teilnehmerin Juliane Reister aus Feldafing zu Werke, denn ihre Geschichte vom Fräulein Lotte und Fräulein Liesl, die zu Frau und Frau Lieselotte wurden, brachte manche zum Schmunzeln. Reister, die vierzig Jahre als Stadtführerin arbeitete, ist Mitglied und Autorin beim Verein Pegasus für kreatives Schreiben München und der Münchner Zeitschreiber. Sie hat schon einige Bücher, darunter die "Münchner Brunnengeschichten", geschrieben.

Um das Thema "Radfahren als Schubkraft der weiblichen Emanzipation" schrieb Ute Kelm aus Dießen eine fiktive Kurzgeschichte, zu der sie eine Todesanzeige der irischen Autorin und Radfahrerin Dervla Murphy inspirierte, die 1963 im Alter von 31 Jahren von Irland nach Indien radelte. Sie erzählt in ihrer ruhigen Geschichte von einer Begegnung mit dieser mutigen Frau, die mit Volldampf voraus ging.

Eigentlich sollten Männer Röcke tragen, meint Angelika Lichteneber

Den Mann ins Visier nahm Angelika Lichteneber aus Landsberg und pickte sich dabei die raumgreifende Sitzhaltung der Männer heraus. Eigentlich sollten Männer Röcke tragen, empfahl sie. Nun setzt sie sich selbst manchmal so hin, wenn ein Mann im Flugzeug oder im Theater sich raumgreifend lümmelt. Denn das können Frauen auch, wie es einst Alice Schwarzer in einer Fernsehsendung vormachte.

Persönliche Einblicke gaben vier Autorinnen, die offen aus ihrem Leben berichteten. Sabine Walter aus Windach ging der Frage, was "einmal bitte alles" bedeuten würde und kam zum Schluss, dass nicht alle alles wollen, aber die Möglichkeit gegeben sein sollte. Solidarität zu zeigen ist Walter ein wichtiges Anliegen. Die Journalistin Carmen Tagliapetra aus Dießen schrieb ihren Text im Urlaub, wo sie etwas Zeit für sich abzweigen konnte. Sie beschäftigte sich in ihrem Text mit dem "Müttermythos" und stellte dabei auch fest, dass es oft an Solidarität unter Frauen mangelt. Zwar fehle es ihr selbst zuweilen auch daran, aber wenn sie es wahrnehme, dann könne sie es an diesem Tag anders machen.

Enthaart, verhüllt, ohne Namen für weibliche Geschlechtsorgane - das macht Johrina Hofinger geradezu wütend

"Wir sind viele und wir sind stark", gab Johrina Hofinger aus Reisch am Ende ihres sehr persönlich gehaltenen Textes den Frauen mit auf den Weg. "Erhebt euch, ihr Schönen" forderte sie und ging auf die Körperlichkeit ein. Enthaart, verhüllt, ohne Namen für die weiblichen Geschlechtsorgane - viele Beispiele führte Hofinger an, die sie wütend machen. Sie schreibe seit ihrem 12. Lebensjahr, erzählte sie. "Ihr Text macht mir Mut", bestärkte sie eine Zuhörerin. Aus ihren Lebenserfahrungen erzählte Gabi Kerscher aus Wessobrunn in ihrer Geschichte. Die Psychologin sagt über ihre Kindheit, dass sie damals von ihren Eltern auch als Mädchen sehr gefördert wurde. Mit Feminismus habe sie sich als Studentin zunächst nicht beschäftigt, musste aber feststellen, dass sie dieses Thema nicht ausklammern konnte.

"Eure Offenheit hat mich sehr berührt", bekannte eine Zuhörerin. Anton und Kreutzer, die diese Veranstaltung zu zweit moderierten, kündigten weitere Veranstaltungen an. Für Kreutzer war es auch eine spannende Erfahrung, dass die von den Autorinnen selbst vorgelesen Texte eine andere Wirkung auf sie entfaltet hatten als die geschriebenen Texte.

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