Feldafing:Kunst im Selbstexperiment

Lesezeit: 2 min

Aktion und Happening für das digitale Zeitalter: Choreograf Martin Lanz Landazuri hat in der Villa Waldberta das Performance-Projekt "Escandalizer" entwickelt. (Foto: Nila Thiel)

Lateinamerikanische Künstler präsentieren in der Villa Waldberta eine Performance aus Lichtprojektionen, Tanz, Soundcollagen und Gesang zum Thema Migration

Von Katja Sebald, Feldafing

Die Villa Waldberta ist nicht irgendein Haus, sie ist ein geschichtsträchtiger Ort und eine Hauspersönlichkeit in Feldafing, die ihre Bewohner verändert. Als internationales Künstlerhaus der Stadt München bietet das herrschaftliche Anwesen jedes Jahr 30 bis 40 Künstlern eine temporäre Heimat. Viele von ihnen sind so beeindruckt von der besonderen Atmosphäre, dass sie wiederkommen oder dem Haus auf lange Zeit verbunden bleiben.

Seit Anfang diesen Jahres ist eine Gruppe von Künstlern aus Südamerika zu Gast, um auf Einladung der Plattform "PLUSbrasil" gemeinsam an einem interdisziplinären Projekt über das Thema Migration zu arbeiten. Die Kooperation hatte sich im Nachklang zu einem Aufenthalt von Künstlern aus Sao Paolo im Jahr 2013 in Feldafing entwickelt. Am Freitagabend nun bot die Gruppe mit der Performance "Escandalizer" interessierten Besuchern erstmals einen Blick in ihre Werkstatt.

Mario Lopes ist künstlerischer Leiter des Projekts "ResidenzPLUSbrasil16". Für die Künstler, die bislang nur digital miteinander vernetzt waren, ist das gemeinsame Wohnen in der Villa Waldberta auch die erste Begegnung im realen Leben. Die sieben Stipendiaten haben noch sechs weitere Künstler eingeladen, die derzeit in einer Wohnung in Feldafing untergebracht sind. Im Hinblick auf die vielen Flüchtlinge, die derzeit in Deutschland ankommen - und wohl auch im Hinblick auf die Geschichte der Villa, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Teil eines Lagers für Displaced Persons, also Verfolgten und Verschleppten des NS-Regimes, diente - sagte Mario Lopes, die südamerikanischen Künstler hätten in einem "besonderen Moment in der Welt" die Möglichkeit, an einem besonderen Ort gut unterbracht zu sein.

"Wer empfängt wen und wie empfängt man sich gegenseitig?" Oder auch nur "Wer kauft was fürs Frühstück ein?": Kunst und Leben im Selbstexperiment. Vor allem aber soll es um die Frage gehen, wie sich Künstler aus Lateinamerika im Kräfteverhältnis zwischen der als "Peripherie" empfundenen südlichen Halbkugel und dem "Zentrum" Europa und USA positionieren können.

Der Choreograf und Performer Martin Lanz Landazuri brachte als Stipendiat aus Mexiko das mit einem interdisziplinären Team mexikanischer und brasilianischer Künstler erarbeitete Projekt "Escandalizer" mit in die Villa Waldberta, um es dort weiter zu entwickeln. Zur Präsentation wurden die Besucher in kleinen Gruppen nacheinander vom Haupthaus zum sogenannten Palmenhaus geführt. Im zunächst violett ausgeleuchteten Raum wurden an eine Wand sich bewegende konzentrische Kreise projiziert. Im Lauf der Zeit weiteten und verengten sie sich um eine zentrale Lichtkugel, um sich schließlich auseinander zu schieben und verschiedene Schnittmengen zu bilden. Auch die Intensität der Farbprojektion veränderte sich von einem intensiven Rotviolett bis hin zu einem matten Blaugrau.

Dazu wurden diverse Soundschnipsel eingespielt, eine Art Vinylknistern wechselte sich mit Rauschen ab und wurde anfangs von Live-Gesang und schließlich von zuweilen schmerzhaften Einzeltönen überlagert. Zu den sich so ergebenden Interferenzen aus Schönklang und Störgeräusch bewegten sich mehrere Personen in einer Minimalchoreographie im dunklen Raum, sie lagerten und kauerten auf dem Boden, schoben sich aneinander vorbei oder legten sich an die Wand, sodass die Linien der Lichtprojektion auf ihrer Kleidung zu sehen waren. Einzig die Sängerin umkreiste mehrmals gehend und mit klagend schöner Stimme singend die Zuschauer.

Die Reaktionen im Publikum auf Sound, Licht, Projektion und Tanz sollen bei "Escandalizer" ausdrücklich als Teil des Projekts verstanden werden. Fast könnte man meinen, hier wird Aktion und Happening für das digitale Zeitalter nachgespielt: in einer Lightversion ohne Skandal - und offensichtlich auch gänzlich unbeleckt von Fluxus oder La Monte Young und allem anderen, was die Kunstgeschichte noch zu bieten hat.

© SZ vom 23.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: