Park-Serie: Die Roseninsel:Hier wacht der Kastellan

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Seit 2011 ist die Roseninsel Weltkulturerbe der Unesco. Aus gutem Grund, denn vor dem Eiland wird beim ersten archäologischen Tauchgang Bayerns etwas Kostbares entdeckt: prähistorische Pfahlbauten. Alexander Hartl lebt heute auf der Insel und achtet darauf, dass den Funden trotz vieler Besucher nichts passiert

Von Astrid Becker, Feldafing

Alexander Hartl hat in diesen Tagen viel zu tun. Unermüdlich wacht der Kastellan der Roseninsel über einen ganz besonderen Schatz: das Weltkulturerbe, das sich hier, mitten im Starnberger See, verbirgt und offenbar noch nicht von jedem Zeitgenossen wahrgenommen wird. Denn die Besiedlungsgeschichte der Insel reicht gute 6000 Jahre zurück und viele der hier gefundenen Zeugnisse von Pfahlbauten liegen heute unter Wasser, genauer gesagt, im Flachwasserbereich. Wenn also wieder einmal Ruderer oder Schwimmer glauben, im Weltkulturerbe herumpaddeln oder -planschen zu müssen, schreitet Hartl ein. Immer höflich, aber bestimmt.

Wenn man ihn darüber erzählen hört, wird eines klar: Hartl identifiziert sich voll und ganz mit der Insel, deren einziger Bewohner er ist. Tag und Nacht schaut er im Sommer hier nach dem Rechten. Und vielleicht darf man ihn daher als legitimen Nachfolger derer ansehen, die schon im Neolithikum hier gehaust haben - viel mehr vielleicht als der eines König Maximilians oder seines Sohnes Ludwigs II., die hier zwar Zeit verbracht haben, nie aber wirklich gelebt haben. Es stellt sich klar die Frage, ob einem der beiden Monarchen überhaupt in den Sinn kommen konnte, welche Bedeutung ihre Insel einmal haben würde. Am ehesten wahrscheinlich noch dem Märchenkönig, immerhin wurde in seinen Lebzeiten auf seiner Roseninsel eine wissenschaftliche Disziplin geboren: Die der Unterwasserarchäologie, die genau dort auf "Wörth", wie die Insel eigentlich heißt, vor mehr als 140 Jahren, zum ersten Mal praktiziert und damit auch etabliert wurde.

Eine recht starkes Unwetter muss es gewesen sein, mit dem die Geschichte des Weltkulturerbes auf der Roseninsel ihren Anfang nahm. Denn in dieser einen Nacht, vom 2. auf den 3. Dezember 1872, fördert der Sturm aus den Tiefen des Sees etwas Unglaubliches zutage: "Ich begab mich sofort an Ort und Stelle und zu meinem großen Erstaunen sah ich eine unzählige Menge von Pfahlköpfen, die durch diesen Sturm ganz vom Seeschlamm abgedeckt waren und bei der damaligen Klarheit des Wassers ganz deutlich wahrgenommen werden konnten", schreibt der Starnberger Landrichter Sigmund von Schab 1876 darüber in seinem Buch "Die Pfahlbauten im Würmsee". Was ein Richter mit diesem Fund zu tun hat?

Von Schab ist ein Mensch, der sich für weit mehr interessiert als für die Jurisprudenz. Er ist vielmehr fasziniert von Geschichte, ganz besonders hat es ihm dabei offenbar die der Pfahlbauten in Bayern angetan. Im Winter 1853/54 waren in der Schweiz , genauer gesagt am Zürichsee, die ersten archäologischen Pfahlbauten Europas entdeckt worden. Etwa ein Jahrzehnt später dehnten zwei Münchner Professoren, der Anatom und Physiologe Carl Theodor Ernst von Siebold (1804 - 85) und der Ethnologe Moriz Wagner (1813-1887) die dort angestellten Untersuchungen auch auf die bayerischen Voralpenseen aus. Zusammen mit dem Schweizer Pfahlbau-Experten Édouard Désor (1811-1882) suchten sie die Uferrandzonen einiger Seen ab und wurden vor allem vor der Roseninsel fündig. Von Schab hatte davon erfahren und sogar ein Referat darüber gehalten, woraufhin Wagner ihn ermutigte, selbst Untersuchungen anzustellen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass zu dieser Zeit das Interesse an den Pfahlbauten in Bayern ganz allgemein schon wieder ein wenig nachgelassen hatte. Von Schab treibt es aber dennoch um, und er beginnt - sicherlich mit Genehmigung Ludwigs II - in den Flachwasserzonen an sechs Stellen bei extremen Niedrigwasser zu graben. Auch er findet so einiges, was Wagners Resultate bestätigt: Tierknochen, Werkzeug, Keramik, Bronzen und einen aus Rundlingen bestehenden Holzrahmen mit Holznagelung, was auf eine Siedlung am Fundplatzes hindeutet. Dennoch sollten acht weitere Jahre vergehen, bis der besagte Wintersturm die vielen Pfähle freilegt, die das Interesse an der Roseninsel und an dieser Art von Forschung neu entstehen lässt. Von Schab bekommt sogar Geld für seine Untersuchungen und landet, wenn man so will, im Sommer 1873 einen spektakulären Coup. Er schreibt darüber: "Da zu befürchten war, dass sie (Anm. d. Red.: die Pfähle) im Laufe des darauf folgenden Sommers wieder mehr oder weniger mit Seeschlamm überdeckt werden, liess ich sie in Bezug auf ihre Stellung durch einen Taucher untersuchen und von einem Techniker in Plan legen . . . Nach Angaben des Tauchers stehen die Pfähle sehr nahe aneinander und beträgt der Zwischenraum oft nur zwischen 5 und 8 Cm."

Wer genau der Taucher war, der in der Presse damals "Hook" genannt wird und mit welchem Gerät er seinen Auftrag erledigte, ist bis heute nicht bekannt. Aber eines schon: Dass es sich dabei um den ersten archäologischen Tauchgang Bayerns handelt. Von Schabs Ausbeute, die er dabei erzielt, ist enorm. An 76 Stellen auf einer Gesamtfläche von knapp 1300 Quadratmetern werden insgesamt etwa 1600 Kubikmeter Erdreich ausgehoben und daraus 1469 Kilogramm Tierknochen, 201 Kilogramm Tonscherben und 158 Gegenstände aus Bronze geborgen. Doch genau die große Menge an Tierknochen bringt von Schab später auch Kritik ein. Unterstellt wird, dass es sich dabei auch um Schlachtabfälle handeln könnte, die aus der Gastwirtschaft der Familie Kugelmüller stammten, die vor König Maximilian die Insel besessen hatten.

Doch auch an der Authentizität einiger anderer Funde wird gezweifelt. Denn von Schab bezieht auch Stellung zu antiken Gegenstände, die beim Bau des Casinos Anfang der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts gehoben worden sind. Jahre nach von Schabs Tod äußert sich beispielsweise der Prähistoriker Paul Reinecke dazu. Er geht davon aus, dass unbeabsichtigter Weise Fundstoffe von der Insel mit Gegenständen, die aus dem Kunsthandel stammen und vom Königshaus erworben wurden, vermengt worden seien. Ganz so einfach ist die Sache aber dann wohl doch nicht: Denn von Schab hat auch römische Heizröhren auf der Insel entdeckt und ein zwar mittlerweile verschollenes griechisches Kylixfragment beschrieben - und dessen Herkunft in seinem 1876 erschienenen Buch selbst als "rätselhaft" bezeichnet.

Eines ist dabei gewiss: Von Schab hat aus seinen Funden viele richtige Schlussfolgerungen gezogen. Die prähistorischen Pfahlbauten auf der Insel haben wirklich bestanden und stellen etwas unermesslich Kostbares dar. Denn derartige Seeufersiedlungen gibt es in den bayerischen Voralpen nur äußert selten. Neuere Forschungen haben all dies recht eindeutig belegt. So findet die Archäologische Tauchgruppe Bayern 1986 einen urnenfelderzeitlichen Einbaum im Flachwasser westlich der Insel. Es ist das älteste und größte Wasserfahrzeug Bayerns. Zudem werden 1999 und 2001 Keramikscheiben gefunden, die der Münchshöfener Kultur zuzuordnen sind und damit etwa 6000 Jahre alt sind. Aber es gibt auch noch viele andere Hinweise auf die Jungsteinzeit: zum Beispiel Zeugnisse der Altheimer Kultur und der Chamer Gruppe. 2011 wird der Insel daher der Weltkulturerbe-Status der Unesco verliehen.

Doch sie birgt noch immer viele unerforschte Geheimnisse - und die Zeit, dort noch mehr Untersuchungen anzustellen, drängt. Denn die Erosion durch Wind und Wellen wirkt zerstörerisch. Und dann sind da ja auch noch die vielen Boote und Schwimmer, die immer noch auf die Insel kommen, wenn diese längst für Publikum geschlossen ist. Deshalb ist Kastellan Alexander Hartl ja so wachsam - zumindest noch so lange, bis das Weltkulturerbe durch Bojen geschützt wird. Daran wird derzeit kräftig gearbeitet.

© SZ vom 08.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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