Feldafing:Die spielen nur

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Lauter herausragende Instrumentalisten: das "Alien Ensemble" bei seinem Auftritt im Bürgersaal. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Alien Ensemble macht bei seinem Auftritt in Feldafing nicht viele Worte, dafür aber wunderbar überraschende Musik zwischen Krautrock, Pop, Minimal und Bebop

Von Armin Greune, Feldafing

Nach einer Stunde richtet Micha Acher erstmals das Wort ans Publikum, kündigt noch zwei weitere Stücke an und stellt bei der Gelegenheit gleich seine Mitmusiker vor. Der Verzicht auf Sprache ist beim Alien Ensemble wie der Verzicht auf Elektronik Programm. Das Fehlen großer Worte darf aber auch als Symptom des Understatements aufgefasst werden, mit dem hier sieben schlichtweg großartige, aber völlig uneitle Musiker zu Werke gehen. Und auch das Publikum im nahezu ausverkauften Feldafinger Bürgersaal ist anfangs erst mal sprachlos, bis sich endlich eine Lücke in den von den Musikern entworfenen, epischen Klangwelten auftut, in der sich der aufgestaute Beifall und Jubel explosionsartig entladen kann.

2010 hat Acher (Trompete, Tuba) seine Notwist-Kollegen Ivar Refseth (Vibraphon) und Andi Haberl (Schlagzeug) mit Mathias Götz (Posaune), Stefan Schreiber (Bassklarinette, Saxophon) und Oliver Roth (Altflöte) erstmals um sich versammelt; inzwischen hat Matthias Pichler Benni Schäfer am Kontrabass abgelöst. In diesen sechs Jahren ist das Ensemble gereift, was sich nicht nur in der schlafwandlerischen Sicherheit äußert, mit der die Musiker auch die komplexesten mehrstimmigen Passagen meistern. Was als Projekt zur Interpretation von Achers Kompositionen und Arrangements begann, hat sich zur Band gleichberechtigter Musiker weiter entwickelt, die gemeinsam ferne Planeten im Klangkosmos erforschen. So nimmt auch das auf der Bühne eher unscheinbare Harmonium inzwischen eine immer größerer Rolle ein und wird dabei abwechselnd von Acher, Götz und Refseth bedient.

Auch wenn sie in Feldafing für den Verein "Jazz am See" starten, kann ihre Musik allenfalls hilfsweise diesem Genre zugeordnet werden. Manchmal wirkt diese sehr eigenständige Melange aus Pop, Krautrock, Easy Listening, Minimal Music, Bebop und Neuer Musik eher wie Anti-Jazz: Immer wenn man das Gefühl hat, nun setzt einer aber doch zu einem Solo oder ausufernden Improvisationen an, macht die Musik wieder eine überraschende Wendung. So etwa in "Arc Trilogy", das mit einem atemberaubend schönen Cool-Jazz-Thema auf der Trompete beginnt, das die übrigen Bläser umspielen - bis Pichler die Harmonie mit schrägen Dissonanzen auf dem Bass zersägt. Das endet mit einer nordisch-klaren, fast sakralen Melodie auf dem Harmonium, die Refseth unterstützt, indem er mit dem Violinbogen über die Röhren des Vibraphons streicht. In Haberls "Skeleton Dance" gibt ein einziger, banjoähnlicher Akkord das treibende D-Zug-Tempo vor, das einen optimistischen, vielstimmig vorgetragenen Popsong begleitet. Mit "Sun" wiederum wird von Vibra-, Metallophon und Flöte ein heiteres Idyll aufgebaut, wie es sonst nur Kinderlieder wiedergeben. Ja, manchmal wirkt das Ensemble wie eine Schar Schüler, die gerade das große Orff-Instrumentarium im Musikvorbereitungraum entdeckt hat. Von der "Sie wollen nur spielen"-Attitude darf man sich freilich nicht täuschen lassen. Letztendlich aber ist der Versuch, ihre herausragenden instrumentellen Fähigkeiten zu verbergen, zum Scheitern verurteilt. Auch die Zuhörer in Feldafing haben das erkannt und holen sich noch zwei Zugaben, bevor sie, vom Sternenstaub verzaubert, wieder auf der Erde landen müssen. Diese Aliens sprechen eine ganz neue, fremde Sprache - deren Wörter aber wie Esperanto seltsam vertraut klingen. Wer mit ihnen auf die Reise durch das musikalische Universum geht, muss auf alles gefasst sein.

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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