Feldafing:Der Zauberer muss in die Klinik

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Das Villino, in dem Thomas Mann einst am "Zauberberg" gearbeitet hat, soll nach der Renovierung nicht mehr als Museum genutzt werden. Stattdessen ist eine Ausstellung über die Feldafinger Zeit des Schriftstellers im Benedictus-Krankenhaus geplant

Von Sabine Bader, Feldafing

Ein Thomas-Mann-Museum wird das "Villino" in Feldafing nach seiner Renovierung wohl nicht mehr werden. Denn das historische Gebäude weise weder die erforderliche Deckenhöhe noch zwei Treppenhäuser und auch nicht die nötige Anzahl an Toiletten auf, erklärt Artemed-Chef Professor Rainer Salfeld. Trotzdem wolle man das Andenken an Thomas Mann in Feldafing bewahren und plane eine Ausstellung in "unmittelbarer Nähe in geeigneten und zugelassenen Räumlichkeiten". Damit meint Salfeld offensichtlich die Cafeteria des Benedictus-Krankenhauses, auf dessen Gelände das Villino steht.

Dort soll nämlich eine Thomas-Mann-Dauerausstellung eingerichtet werden, erzählt der Sammler und Thomas-Mann-Kenner Gernot Abendt aus Tutzing, der für das Ausstellungskonzept verantwortlich zeichnet. "Natürlich finde ich es sehr schade, dass das Villino nicht mehr als Museum genutzt wird ", sagt Abendt zur SZ. Denn der "genius loci", der Geist des Ortes, gehe so verloren. Da sich die Klinik aber in Sichtweite zum Villino befinde, könne das Gebäude als größtes Exponat der Ausstellung betrachtet werden. Das heißt, Besucher wie Patienten könnten das Haus zumindest von außen besichtigen.

Laut Landratsamt Starnberg und Gemeinde Feldafing ist das Villino im Bebauungsplan für das Klinikareal als Wohngebäude eingetragen. "Ein fauler Kompromiss", den man damals im Gemeinderat getroffen habe, um größere Zerwürfnisse über die Anzahl an Personalwohnungen zu vermeiden. Sollte die Klinik aus dem Haus aber ein Museum machen wollen, müsste sie laut Sontheim einen Antrag auf Nutzungsänderung stellen. Darüber würden die Behörden dann befinden. Ein Antrag sei bislang nicht eingegangen.

Derzeit wird das "Villino" in Feldafing aufwendig renoviert. Das Dach des denkmalgeschützten Hauses ist bereits neu eingedeckt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Sontheim glaubt ohnehin, dass eine Thomas-Mann-Ausstellung in der Klinik-Cafeteria mehr Publikum anziehen werde als im Villino. Und eines ist für ihn ein Gewinn: dass das denkmalgeschützte Haus durch die aufwendige Sanierung "die nächsten Jahrzehnte gut überdauert".

Bekanntlich hatte Thomas Mann zwischen 1919 und 1923 oft im Villino gearbeitet, dem Sommerhaus seines Freundes und Verlegers Georg Martin Richter. Dort widmet er sich wieder dem Roman "Zauberberg", der über den Krieg liegen geblieben war. In seinem "Mauseloch", wie er das Häuschen nennt, findet er die Ruhe, die er zum Arbeiten so dringend braucht. Doch er verkriecht sich nicht nur, er macht auch ausgiebige Spaziergänge am See, rudert auf dem Starnberger See und hört im Erdgeschoss mit dem Grammophon leidenschaftlich Opern von Wagner, Beethoven, Verdi und Puccini. Besonders der italienische Tenor Enrico Caruso hat es ihm angetan. Das Grammophon soll ihn auch zum sinnlichsten Kapitel des Werks, "Die Fülle des Wohllauts", inspiriert haben.

Nach dem Krieg war die Anwesenheit des Schriftstellers in dem Feldafinger Domizil lange Zeit in Vergessenheit geraten. Bis der Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer das Sommerhäuschen auf dem damaligen Kasernen-Areal 1994 wiederentdeckte. Ihm hatte die Suche nach dem "Villino" aus Manns Tagebuch keine Ruhe mehr gelassen. Als er das Häuschen schließlich entdeckte, richtete er darin eine inspirierende Dauerausstellung ein, durch die er Besucher gerne führte. Später übernahm die Klinik das Gelände. Und Heißerer, der offensichtlich eine andere Vorstellung als die Krankenhausverantwortlichen von der künftigen Nutzung des denkmalgeschützten Gebäudes hatte, wurde im Juni 2018 überraschend gekündigt.

Kurz darauf gab Artemed-Chef Salfeld bekannt, dass man das Gebäude umfassend innen wie außen renovieren und wieder in seinen historischen Zustand um 1920 versetzen werde. Dies geschieht gerade. Dass dies nicht einfach würde, weil fast nichts mehr original sei, daran ließ er schon damals keinen Zweifel. Dennoch hatte man mit den Arbeiten in der zweiten Jahreshälfte 2019 fertig sein wollen. Das Erdgeschoss hatten die Verantwortlichen damals zu Ausstellungszwecken nutzen wollen. In die Räumen im Obergeschoss sollte die Artemed-Stifung einziehen, die Ärzte nach Bolivien, Myanmar und Tansania entsendet.

Wenngleich der "genius loci", wie Abendt es nennt, fehle, glaubt er, dass auch die Ausstellung in der Klinik-Cafeteria ansprechend wird. Dort sollen Fotos und Pläne zum Bau des Villino ebenso präsentiert werden, wie ein Modell des Hauses. In Vitrinen will man Exponate, Erstausgaben und Schriftstücke zeigen. Patienten der Rehaklinik sollen literarische Werke von Thomas Mann erstehen können. Auch sei geplant, dass sich die Patienten über den Klinikkanal das Hauses auf den Tablets in ihren Zimmern über den Schriftsteller informieren könnten. Präsentiert werden auch ein Grammophon und das Schreibtischreplikat aus dem Villino.

Trotz aller Trauer um das Flair des einstigen Thomas-Mann-Museums - ganz weit hergeholt ist es auch nicht, dass künftig ausgerechnet in den Klinikräumen eine Ausstellung über den Schriftsteller in Feldafing gezeigt wird: Schließlich dreht sich der "Zauberberg" ja um den Alltag in einem Lungen-Sanatorium.

© SZ vom 02.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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