Erling:"Es gibt viele Vorbehalte"

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Auf Gastfreundschaft legen die Asylbewerber in der Containeranlage Andechs großen Wert, weiß Helferkreis-Chef Manfred Boll. (Foto: Nila Thiel)

Manfred Boll, Vorstand des Andechser Asylhelferkreises, will in einer Bürgerversammlung schiefe Meinungen über Flüchtlinge korrigieren. In der Containeranlage leben momentan 70 Menschen

Interview von Ute Pröttel, Erling

Vor gut einem Jahr, am 28. Oktober 2015, fand die erste offizielle Information der Öffentlichkeit über die geplante Containeranlage in Andechs statt. Kurz darauf zogen die ersten Flüchtlinge ein. Am 7. November 2016 plant die Gemeinde auf Initiative des Helferkreis nun eine Bürgerversammlung, um den Andechsern zu berichten, was in diesem Jahr alles passiert ist. Auch Landrat Karl Roth hat sein Kommen zugesagt. In der Öffentlichkeit ist von der Containeranlage in Andechs wenig zu hören. Offizielle Stellen werten das positiv. Die SZ sprach mit Manfred Boll, dem Vorstand des Andechser Helferkreises. Das Gespräch fand im einem der Sozialcontainer der Wohnanlage in Erling statt. Die Tür zum Hof stand offen und nach wenigen Minuten brachte ein Bewohner aus Afghanistan starken schwarzen Tee vorbei. Auf Gastfreundschaft wird im Container-Camp viel Wert gelegt.

SZ: Sie planen eine Bürgerversammlung. Gibt's Ärger?

Manfred Boll: Kürzlich hatten wir mal einen fremden Mann hier, der mit dem Vater eines der Kinder sprechen wollte. Ich habe ihn angesprochen, wer er sei und was er wolle. Nachdem er dazu keine Auskunft geben wollte, aber erneut nach dem Vater eines Kindes fragte, habe ich ihm gesagt, wer ich sei und ihn gebeten zu gehen. Da fing er an herumzumaulen, und ich war kurz davor die Polizei zu rufen. Er hat dann doch das Gelände verlassen. Aber nennenswerten Ärger gab es bisher nicht. Um zu vermeiden, dass Unbefugte die Wohnanlage betreten, haben wir den Mitgliedern des Helferkreises von Anfang an Namensschilder gegeben, die sie in der Anlage tragen. Mit der Bürgerversammlung verfolgen wir zwei Motive: durch geeignete Information schiefe Meinungen zu korrigieren. Wir wollen, dass die Bevölkerung korrekt informiert ist. Und dass nicht durch Hörensagen falsche Eindrücke entstehen. Das ist das eine Motiv, das andere ist es, den Bürgern eine Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen und die Situation zu kommentieren.

Was heißt schiefe Meinungen?

Es gibt viele Vorbehalte, wie man sie landläufig hört, von Menschen, die meinen, dass Deutschland nun islamistisch vereinnahmt wird, dass die Flüchtlinge Sozialleistungen erschleichen, klauen und anderes mehr. Vieles davon entspricht nicht unserer Realität.

Man hört sehr wenig von der Containeranlage in Andechs.

Ja. Auch der Landrat sagte das vor Kurzem. Denn gerade er und das Landratsamt werden natürlich angesprochen, wenn etwas schief läuft. Wir sind sehr froh, dass man das so sagen kann und haben uns viel Mühe gegeben, damit die Aufnahme der Asylsuchenden hier in Andechs gut klappt. Wir haben die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft je nach Sprachgruppen begrüßt. Nicht als Flüchtlinge, sondern als Gäste. Ihnen aber auch klar gemacht, dass ein Gast nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hat. In vielen Ländern ist das Gastrecht ein hohes Gut. Auch heute passiert es oft, dass uns Bewohner in ihre Wohnung einladen und sogleich steht der Tee auf dem Tisch.

Der Andechser Helferkreis formierte sich vor gut einem Jahr innerhalb weniger Wochen. Wie viele Mitglieder zählen Sie aktuell?

Anfangs hatten sich um die 100 Personen gemeldet. Mittlerweile ist die Euphorie aber geschmolzen. Dennoch kommen immer noch Helfer dazu. Gerade ist wieder eine Familie nach Andechs gezogen, die an uns herangetreten ist, weil sie mithelfen will.

Was unterscheidet den Helferkreis in Andechs von anderen Helferkreisen?

Andere Helferkreise setzen stark auf ein Patensystem. Wir haben verschiedene Arbeitsgruppen eingerichtet, eine AG Gesundheit und Hygiene, die AG Freizeitgestaltung, eine AG Behörden und etliche andere. Was dort erarbeitet wird, kommt allen Bewohnern zugute. Zum Beispiel, wann und wo Deutschkurse stattfinden, oder wie wir die Hausaufgabenbetreuung organisieren. Im Patensystem kümmert sich ein Pate um die Sorgen und Nöte einer Person oder einer Familie. Das ist nicht schlecht. Wir sind ebenfalls gerade dabei, Patenschaften zu organisieren, aber es war nicht der primäre Ansatz. Wir haben von Anfang an auf eine enge Zusammenarbeit von Sozialbetreuung, Sicherheitsdienst und Helferkreis gesetzt. Es haben enorm viele Gespräche zwischen den Funktionsträgern stattgefunden. Uns ist sehr wichtig, dass die Bewohner merken, dass wir an einem Strang ziehen.

Wie viele Menschen leben aktuell in der Anlage?

Vollbelegt war die Anlage bisher noch nicht. Wir hatten mal 90 Bewohner. Platz wäre für maximal 96 Personen. Es gab einige Abgänge und es kommen auch immer wieder neue Flüchtlinge hinzu. Momentan wird die Anlage von 70 Personen bewohnt. Die Wohnungen bestehen aus einer Küche und Nasszelle und zwei Schlafzimmern für maximal drei Personen. Bei der Belegung achten wir darauf, die verschiedenen Sprachgruppen zu berücksichtigen. In einer der Wohnungen lebt beispielsweise eine Familie mit einem Kind und ein alleinreisender Flüchtling. Eine andere Wohnung teilen sich zwei Frauen aus Nigeria mit jeweils einem Kind.

Bewährt sich das Konzept der kleinen Wohneinheiten?

Im Großen und Ganzen ja. Die Realität hat bewiesen, dass das Konzept richtig ist. Die Menschen können die Türe hinter sich schließen und haben das Gefühl von "Ich bin zu Hause". Und obwohl die Wohneinheiten verdammt klein sind, bieten sie die Möglichkeit, dass die Flüchtlinge sich selbst versorgen. Sind unter den sechs Bewohnern welche, die sich nicht mögen, kann es schon einmal zu Konflikten kommen.

Gibt es regelmäßige Treffen der Einwohner?

Bei uns in Andechs nicht. Das scheitert schon an der Sprachenvielfalt. Arabisch, Kurdisch, Daari und Pashtu, Afrikanisch oder im besten Fall Englisch wird gesprochen. Einmal allerdings im August haben die Einwohner uns Helfer spontan eingeladen. Sie haben gebacken und gekocht, und einer der jungen Iraker hat eine kleine Rede auf Deutsch gehalten, in der er sich für die Hilfe und Unterstützung bedankt hat.

Aus den Reihen des Helferkreises Feldafing wurden kürzlich Beschwerden bekannt über die unzumutbaren Zustände beim Amt für Migration und Flüchtlinge. Können Sie die bestätigen?

Leider ja. Die Asylsuchenden werden alle immer für 8 Uhr morgens bestellt. Auch wir vom Helferkreis steigen immer wieder um 4 Uhr früh ins Auto, damit unsere Asylsuchenden pünktlich in Nürnberg, Regensburg oder Deggendorf sind. Und noch immer sind nicht alle Anhörungen abgeschlossen. Das wird wohl Ende November der Fall sein. In Starnberg wurde diese Art der Organisation zum Glück gerade geändert. Es soll niemand mehr in der Kälte warten müssen.

Wurden bereits Menschen aus Andechs abgeschoben?

Ein Geschwisterpaar hatte sich in Bulgarien zuerst erfassen lassen und wurde dorthin zurückgeschickt. Und eine Familie aus dem Iran ist in ihre Heimat zurückgekehrt.

Wie sieht es mit der Kinderbetreuung aus?

Mittlerweile sehr gut. Alle Schulkinder besuchen seit Januar entweder die Grundschule in Erling oder die Mittelschule in Herrsching. Und was die Lehrer dort leisten, ist großartig. Wir vom Helferkreis sind allerdings bei der Hausaufgabenbetreuung gefordert. Sechs Tage die Woche sind 20 Helfer damit beschäftigt. Auch mit der Betreuung der Schüler aus den berufsvorbereitenden Klassen. Schwieriger war die Unterbringung der Kleinen. Anfangs haben wir die Kinderbetreuung mit Hilfe der Frauen aus dem Helferkreis organisiert. Seit September sind aber auch alle Kindergartenkinder in drei Einrichtungen in Erling und Feldafing untergebracht.

Und wie schwierig ist es die Menschen in Jobs zu bringen?

Immerhin 25 unserer Bewohner arbeiten oder sind in Praktika. Das ist sehr erfreulich. Trotzdem möchte ich an die Berufswelt appellieren, weiter Arbeitsplätze für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Für die bisherige Unterstützung sind wir sehr dankbar, leider stellen wir momentan eine gewisse Sättigung fest. Zur Integration sind aber außer geeigneten Arbeitsplätzen auch günstige Wohnungen dringend erforderlich. Nicht nur in Andechs.

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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