Drama:Eine gute Wahl

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Jan-Ole Gerster stellt in Gauting seinen zweiten Film "Lara" vor - einen Geniestreich über ein verpfuschtes Leben

Von Blanche Mamer, Gauting

Corinna Harfouch ist gerade aufgewacht. Mürrisch, noch nicht ganz wach, blickt sie auf ein Stück Wand, ihr Gesicht versteinert. Steht sie auf, bleibt sie liegen? Sie steht auf, zieht den Vorhang zurück, öffnet das Fenster, stellt einen Stuhl davor und steigt drauf, bereit zum Sprung. Da klingelt es an der Tür. Sie geht hin und öffnet. Aufatmen im Publikum. Die ersten Minuten von "Lara", dem zweiten Film von Jan-Ole Gerster, stimmen die Zuschauer auf ein Drama ein, das an die Nieren geht. Sieben Jahre nach "Oh Boy", dem gefeierten Abschlussfilm an der Berliner Filmakademie, für den Gerster den Bayerischen, den Deutschen und den Europäischen Filmpreis bekommen hat, legt er nun mit seinem zweiten Werk wieder einen kleinen Geniestreich hin. Beim Fünfseen-Filmfestival hat er dem Publikum den Film vorgestellt.

Corinna Harfouch verkörpert als "Lara" meisterhaft eine Pensionärin, die ihre Verbitterung an ihrem sozialen Umfeld auslässt. (Foto: Studiocanal/Frederic Batier)

Nach dem immensen Erfolg von "Oh Boy" bei Kritikern un Publikum waren die Erwartungen und der Druck hoch. Gerster berichtet, er habe an mehreren Skripts gearbeitet, geschrieben und recherchiert, aber nicht so richtig. "Scheitern sollte eine Option sein", sagt er, auch als Thema. Schließlich habe er Ausschau gehalten nach einem Kollegen, einem Co-Autor, mit dem er diskutieren und Geschichten ausspinnen wollte. Er fand Blaž Kutin, einen slowenischen Autor, der eines Tages von einem Drehbuch sprach, das er zwölf Jahre zuvor entwickelt hatte. Er hatte dafür bereits Preise bekommen, doch es lag noch unverfilmt in der Schublade. "Ich habe es gelesen und hatte sofort eine starke Reaktion auf das Skript. Das Thema hätte mir ferner nicht sein können, trotzdem hat es mich total getroffen. Und als Lara tauchte Corinna Harfouch vor meinen Augen auf."

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Lara, die an dem Tag 60 Jahre alt wird, soll als Zeugin bei der Durchsuchung der Nachbarwohnung dabei sein. Man sieht ihr an, dass sie alle um sich herum verabscheut, doch immerhin ist sie zurück im Leben, wofür nun ihre Mitmenschen bezahlen müssen. Ihr Blick birgt so viel Bitterkeit und Bosheit, dass es den Zuschauern schaudert. "Ich hatte Corinna vor ein paar Jahren im Theater in Tschechows 'Möwe' gesehen, wo sie eine manipulative, niederträchtige Mutter spielte. Ich dachte damals, dass ich etwas für sie schreiben wollte. Und dann kommt dieses Drehbuch zu mir, und es war klar: Das ist für sie. Wenn sie abgelehnt hätte, hätte ich den Film nicht gemacht." Er erzählt die Geschichte eines falsch gelebten Lebens. Lara hat die Träume ihrer Jugend nicht verwirklicht: Sie wäre gern Pianistin geworden, hatte Talent, war fleißig und extrem ehrgeizig, doch ein Kommentar ihres Lehrers hat sie alles hinwerfen lassen. Sie wurde Beamtin, eine gehasste Chefin - und obwohl im Ruhestand- , kuschen ihre Mitarbeiterinnen immer noch vor ihr. Ihre ehrgeizigen Ziele hat sie auf ihren Sohn übertragen, hat ihn maßlos angetrieben und gepusht. Er ist tatsächlich ein gefeierter Pianist geworden. Tom Schilling, der in "Oh Boy" leichtfüßig durch Berlin geisterte, spielt den traurigen, unsicheren Künstler, der immer noch dem Urteil der dominanten Mutter glaubt. Selbst wenn er sich ihr entzogen hat, nicht auf ihre Anrufe reagiert, ihr nicht mal zum Geburtstag gratuliert. Er lädt sie auch nicht zu seinem Konzert ein, wo er erstmals als Komponist brillieren will und sich am Ende doch mit einem Wort von ihr vernichten lässt. "Ich hatte immer eine Leidenschaft für Menschen, die für eine Sache brennen", sagt Gerster. Mit Lara/Corinna hat er eine gute Wahl getroffen.

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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