Dießen:Spitzel und Neonazis

Lesezeit: 2 min

Fritz Burschel beobachtet für die linke Rosa-Luxemburg-Stiftung den NSU-Prozess in München. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vortrag und Diskussion über Geheimdienste und rechte Szene

Von armin greune, Dießen

Wie tief sind Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst in rechtsradikale Aktionen verstrickt? Muss sich die demokratische Zivilgesellschaft vor ihren "Beschützern" schützen? Sollten die Geheimdienste nicht besser ganz abgeschafft werden? Über diese Fragen wurden in einer Veranstaltung der Dießener "Mittwochsdisko" lebhaft debattiert. Mehr als 60 Besucher fanden nur mit Mühe im Nebenraum des "Maurerhansel" Platz. Angesichts dieses Publikumsinteresses meinte Referent Fritz Burschel trocken: "Ich habe meine Prominenz deutlich unterschätzt."

Wie der Dießener Journalist Thies Marsen, der den Abend moderierte, gehört er zu den Auserwählten, die den NSU-Prozess als Berichterstatter verfolgen dürfen. Er habe sogar doppelt Glück gehabt und sowohl im Los- wie auch im Windhundverfahren einen Platz erhalten. Doch was erst als Segen erschien, habe sich nun "als Fluch erwiesen", sagte Burschel, der vom 238. Prozesstag nach Dießen gekommen war. Am Oberlandesgericht München sei er Diener dreier Herren: Bezahlt werde er als Referent der Linkspartei nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zudem gibt der Journalist wöchentlich bei Radio Lotte Weimar und jährlich in etwa 70 Infoveranstaltungen Auskunft über das Prozessgeschehen.

In Dießen standen aber weniger die Rechtsterroristen im Fokus, als die Verbindungen zwischen "Neonazis und Schlapphüten", wie das Thema des Abends lautete. Dazu gab Burschel zunächst einen historischen Abriss zur Ahndung rechts- und linksmotivierter Straftaten. Wie ein roter Faden ziehe sich da ein Ungleichgewicht durch die deutsche Geschichte: Während Linke mit härtesten Repressionen rechnen mussten und müssen, seien Polizei und Justiz auf dem rechten Augen "eben nicht blind - sondern drücken es willentlich zu", sagte Burschel und belegte dies auch mit aktuellen Beispielen.

Die Inlandsgeheimdienste - nach dem Krieg aus ehemaligen NSDAP-Kadern aufgebaut - sind längst nicht nur Beobachter, sondern Teilnehmer in der rechten Szene: "2003 war jeder siebte NPD-Funktionär ein V-Mann", sagte Burschel. Tino Brandt etwa - eine "monströse Figur", die nun wegen Kindesmissbrauch und -prostitution in Haft sitzt - habe "mit Mitteln des Verfassungsschutzes den 'Thüringer Heimatschutz' gegründet, ohne den es die NSU nie gegeben hätte". 370 Akten über Rechtsterrorismus habe der Verfassungsschutz vernichtet, dennoch könne man im NSU-Umfeld 24 Spitzel namentlich ausmachen. Vor Gericht aber berufen sich Geheimdienstmitarbeiter regelmäßig auf Quellenschutz und auch der parlamentarische Untersuchungsausschuss habe sich angesichts der Heimlichkeiten als "vollkommen zahnloser Tiger" erwiesen, meinte Burschel.

Im Publikum konzentrierte sich die Diskussion auf die Frage, wie die Gesellschaft auf diese Skandale reagieren soll. Die Forderung nach der Abschaffung der Geheimdienste wurde dabei ebenso geäußert wie der Entzug ihrer polizeilicher Aufgaben. "Das Mindeste wäre, sie einzudampfen", meinte Marsen. Stattdessen aber seien acht Vollzeitstellen in Bayern geschaffen worden, damit der Verfassungsschutz an Schulen über Extremismus referieren kann. Derartige Auftritte gehörten als erstes unterbunden, solange sich die Geheimdienste der demokratischen Legitimation und Kontrolle entziehen.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: