Dießen:Meilensteine

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Werke von Beer-Walbrunn und seine Schülern Orff und Killmayer

Von Reinhard Palmer, Dießen

Auch wenn es so heißt - ein Museum im herkömmlichen Sinne ist das Carl-Orff-Museum nicht. Die Lebensrelikte des Komponisten befinden sich immer noch an ihrem angestammten Platz in seinem einstigen Wohnhaus in der Dießener Peripherie, wo heute die Carl-Orff-Stiftung ihren Sitz hat. 25 Jahre alt ist nun das Museum geworden, das Dokumentationszentrum über Orffs Leben und Werk. Grund genug, das Ereignis mit einem besonderen Konzert im Dießener Traidtkasten zu feiern. Lehrer-Schüler-Beziehungen zu beleuchten, ist naturgemäß eine erhellende Angelegenheit. Und auch wenn Orffs frühe Lieder kaum bekannt sind, handelt es sich um keine Randerscheinung in seinem Œuvre. Schließlich ist sein zentrales Werk eine Liedersammlung: Carmina Burana - Lieder aus Benediktbeuern.

Angelika Huber (Sopran) und Kilian Sprau (Klavier) stellten drei aufeinander folgende Generationen vor. Kaum zu glauben, schienen doch zwischen den Liedblöcken des Orff-Lehrers Anton Beer-Walbrunn, Orffs und seines Schülers Wilhelm Killmayer Welten zu liegen. Kurzum: Orff und Killmayer waren überdurchschnittlich begabte Schüler, aber eben auch ausgesprochen selbständige Persönlichkeiten, die sich sogleich über den Einfluss ihres Lehrers mit eigenen, progressiven Ideen hinwegzusetzen vermochten. Ihre Leistung ist nicht hoch genug zu bewerten, beachtet man den konservativen Ausgangspunkt der Entwicklung der Spätromantik in München jener Zeit im Umfeld von Richard Strauss und Pfitzner.

Auch wenn der Beer-Walbrunn-Entdecker und -Forscher Martin Valeske in seinem Vortrag ein beachtenswertes Lebenswerk mit großer Begeisterung und Bewunderung skizzierte, war es doch allzu hoch gegriffen, den Komponisten als Genie zu bezeichnen. Sein Zyklus lyrisch-dramatischer Gesänge nach Shakespeares Sonetten ist der romantischen Tradition verhaftet und mit bemühter Chromatik spätromantisch modernisiert. Die packende Entwicklung des Liedsatzes jeweils auf einen dramatischen Höhepunkt zu vermochte die Schwächen der Werke zu kaschieren.

Keine Frage, die Lieder waren schön anzuhören. Aber schon das erste Orff-Lied "Immer leiser wird mein Schlummer" von 1911 setzte sich von der betulichen Melodik mit einer ganz anderen Kraft ab. Wiederholung eines reinen Intervalls, dann Textdeklamation auf nur einem Ton: Der 16-jährige Orff hatte bereits deutlich andere musikalische Vorstellungen. Der Tonraum weitete sich, unentwegte Modulationen befreiten sich von formalen harmonischen Bindungen, hymnische Wirkungen verliehen den Liedern Größe. Hier ging es einzig darum, die Stimme als Klangmittel einzusetzen und dem Textinhalt als bestimmendem Element der emotionalen Entwicklung zu folgen. Gleichförmigkeit oder Monotonie im rezitativischen Duktus waren nicht ausgeschlossen, wie etwa als prägende Mittel in "Ein Liebeslied" (1920).

Die Ausrichtung am Text und an der instrumental eingesetzten Stimme verstärkte sich zunehmend. Huber und Sprau packten die Entwicklung Orffs in überzeugende Dramaturgie, bis schließlich in "Der gute Mensch" von 1920 Stimme und Klavier gänzlich ihre Rollen verloren, um ausschließlich Ausdruck zu werden. Der Ansatz, den Killmayer mit seinen "Blasons anatomiques du sorps féminin" von 1966 zum obersten Prinzip machte. Diese Lyrikform des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance - hier über weibliche Körperteile - bot Killmayer offenbar ausreichend Distanz, hemmungslos intuitiv vorzugehen, bis hin zum rein abstrakten Spiel mit Wortklang oder sprachlichem Tonfall. Minimalistische Passagen, Reduktion auf rein atmosphärische Parameter, sprunghafte Tonraumerschließung, ostinate Begleitfiguren und andere Kunstgriffe waren schlüssig und mit Witz zu dramaturgisch raffinierten Ausdruckseinheiten verschmolzen.

Ein packendes Finale eines sehr anspruchsvollen Projekts. Lang anhaltender Applaus und eine Zugabe.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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