Dießen:Irritierende Wimmelbilder

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Meister der Andeutung: Der Maler Gerhard Neumaier vor zwei der Bilder, die derzeit in Dießen ausgestellt sind. (Foto: Nila Thiel)

Gerhard Neumaier stellt im Fritz-Winter-Atelier eine Auswahl neuerer Arbeiten aus

Von Katja Sebald, Dießen

Das Dießener Fritz-Winter-Atelier ist eigentlich mehr Museum denn Galerie. Auch wenn dort wechselnde Ausstellungen gezeigt werden, so lag deren Schwerpunkt doch bislang auf der Nachkriegsmoderne, auf Fritz Winter und seiner Zeit eben. Ausstellungen mit Arbeiten seiner Zeitgenossen und Meisterschüler und vor allem die nahezu originalgetreu erhaltene Bauhausarchitektur machten den Besuch stets zu einer Zeitreise. Die jetzt eröffnete Bilderschau "Sichtweisen" mit Arbeiten von Gerhard Neumaier stellt deshalb geradezu eine Zäsur dar.

Neumaier, 1950 in Freiburg im Breisgau geboren, studierte nach einer Ausbildung zum Goldschmied unter anderem bei Karl-Henning Seemann und bei Alfred Hrdlicka an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Er lebt und arbeitet heute in Baden-Baden. Seine sehr eigenwillige Malerei wurde als "informelle Gegenständlichkeit" beschrieben - und das ist nicht der einzige Widerspruch, den sie in sich birgt.

In Dießen zeigt er eine Auswahl neuerer Arbeiten, die in Öl auf Simopor-Platten entstehen und sich fast ausschließlich mit pflanzlichen oder zumindest vegetativen Themen beschäftigen, doch selbst das ist nicht sicher. Geht man aber davon aus, dass sein Sujet Büsche, Wiesen, Blumen samit Mikrofauna und Insektenwelt sind, bleibt festzustellen, dass er sich diesem Sujet mal in extremer Nahsicht, mal in der Draufsicht und zuweilen aus der Perspektive eines am Boden zwischen Grashalmen krabbelnden Käfers nähert. Von hier arbeitet er sich mit größter Akribie voran, mit allerfeinster Pinsel- und Spachteltechnik, detailgenau, ja fast fotogenau und geradezu altmeisterlich, opulent in der Farbigkeit, glänzend und leuchtend. Man meint, zarte Grashalme zu sehen, darüber Blüten und Schmetterlinge, noch weiter darüber ein blauer Himmel. Oder üppig wucherndes tropisches Grün, darin wuselndes Getier. Dem Auge gelingt es aber nicht, auch nur ein einziges dieser Motive endgültig festzumachen. Fast scheint es, als hätte jemand im allerletzten Moment mit einer imaginären Kamera gewackelt, so dass sich im Detail irritierende Unschärfe ergibt. Oder als hätte jener Wind, der mal dunkle Wolken von links ins Bild bläst und manchmal nur ins Gras fährt, auch Farben und Formen ein wenig verrutscht. Dass es auch Grisaille-Malereien gibt und Bildtitel, die in die Kunstgeschichte verweisen, macht es nicht einfacher. Und so steht der verwirrte Betrachter vor diesen Bildern wie vor Wimmelbildern, in denen ein geheimnisvolles Nichts wimmelt.

"Das Bild ist so gut wie sein Betrachter", schrieb Neumaier unter ein Selbstbildnis von 1994. Zuletzt formulierte er ausführlicher: "Weiterhin scheint es eine stehende Feststellung, eine beliebte Versicherung zu sein, daß es meinen Gemälden an ,Eindeutigkeit' fehle. Sie seien weder ,gegenständlich' noch ,ungegenständlich', weder Fisch noch Fleisch, keiner Strömung, Richtung, Schule oder Mode angehörig; es sei unsicher, wo der Künstler steht, wie er's meint und ob er überhaupt etwas meint; auch wisse man nicht genau, was man selbst dazu sagen und meinen soll, ob das, was man meint, richtig oder falsch, treffend oder daneben ist."

Bis 15. November 2015, jeweils Donnerstag bis Samstag von 14 bis 18 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 18 Uhr.

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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