Dießen:Der Koch und die Jungs

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Ein gut gelauntes Team: Sebastian Dickhaut (Mitte) kocht im vormaligen Gasthof "Drei Rosen" mit jugendlichen Flüchtlingen aus fünf Ländern. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Sebastian Dickhaut hat als Bestsellerautor einer Generation junger Deutscher das Kochen und Genießen beigebracht. Jetzt steht er neben jugendlichen Flüchtlingen am Herd - und will mit ihnen den Dießener Traditionsgasthof "Drei Rosen" wiederbeleben

Von Armin Greune, Dießen

Eineinhalb Jahre lang war der Traditionsgasthof "Drei Rosen" geschlossen - und nun brummt der Laden plötzlich wieder. Die Gaststube ist an diesem Samstagnachmittag prallvoll, etwa 40 Gäste sitzen zur Eröffnung bei frisch gebrühtem Kaffee und selbst gebackenem Kuchen oder Süßkartoffelbrot; andere warten geduldig, bis ein Platz frei wird. Zumindest einmal im Monat soll die Gastronomie in der Dießener Schützenstraße wieder belebt werden. Zu verdanken ist das den Küchenchefs Miriam Doumbaya und Sebastian Dickhaut sowie 22 jugendlichen Flüchtlingen, die unter der Obhut des SOS-Kinderdorfs in den Hotelzimmern wohnen - 18 davon schon fast ein Jahr lang.

In der Pressemitteilung des Kinderdorfs wird Dickhaut als "Starkoch" bezeichnet - ein Titel, über den er nur den Kopf schütteln würde. Die Bezeichnung "Star-Kochbuchautor" aber muss er bei aller Bescheidenheit gelten lassen: Er hat mehr als 60 Kochbücher verfasst und dabei auch die "Basic Cooking"-Serie für den Gräfe und Unzer-Verlag erfunden. Allein bis 2011 sind davon mehr als drei Millionen Stück verkauft worden, die Reihe ist in mindestens 15 Ländern erschienen. Dickhauts Rezept, elementares Know-how mit flotten Sprüchen und witzigen Fotos zu servieren, ist seither oft kopiert worden. Beim Schreiben kam ihm zugute, dass er nach der Kochausbildung ein Volontariat bei einer Lokalzeitung absolvierte. Danach arbeitete er nicht in einem Restaurant, sondern als Redakteur von Kochbüchern und Gastroführern. 2007 erhielt er sogar auf der Frankfurter Buchmesse einen Literaturpreis.

Jetzt aber gibt der Bestsellerautor einem jungen Mann mit hochtoupiertem Haar Tipps, wie er die an der Theke stehenden Kunden auf die Tische aufteilen kann. "Asif aus Afghanistan ist der Hipster unter den Jungs", erklärt Dickhaut. Für ihn sind die "unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge", wie sie im Verwaltungsjargon heißen, einfach "die Jungs". Er hat sie inzwischen gut kennengelernt, seit Anfang des Jahres ist er halbtags - also an drei Tagen der Woche - beim SOS-Kinderdorf angestellt. Ausgeschrieben war die Position für einen Koch und Hauswirtschafter, aber Kinderdorfleiter Erich Schöpflin habe wohl "die Stelle kreativ umgewandelt" und um erzieherische Aspekte erweitert, vermutet Dickhaut. Auch in diesem Bereich hat er reichlich Erfahrung: Nicht zu unrecht wurde in der SZ ein Porträt über ihn mit "Der Küchenpädagoge" überschrieben. Seine Mission, Anfänger für Kulinarik zu begeistern, hat er auch sieben Jahre lang im "Hukodi" in Giesing verfolgt. Dort leitete er seine "Küchengötter"-Kurse, außerdem diente es als Buch- und Filmwerkstatt sowie gelegentlich als Lokal mit fixem Menü. Doch im Juli hat Dickhaut das Hukodi geschlossen - er will sich nun ganz seiner neuen Aufgabe widmen , nur zum Internet-Portal www.kuechengoetter.de steuert er weiter Beiträge bei.

Mit dem Kinderdorf in Dießen hatte er schon 2008 Kontakt aufgenommen: Drei Jahre lang kochte Dickhaut ehrenamtlich dort einmal im Monat mit Jugendlichen für die gesamte Gemeinschaft. Als er sich vor einem Jahr entschloss, künftig im sozialen Bereich zu arbeiten, konnte er sich zunächst gut vorstellen, als "Vater" eine SOS-Kinderdorfgruppe zu übernehmen - doch da scheiterte der 52-Jährige an der Altersgrenze. Die Tätigkeit im Drei Rosen bereitet Dickhaut "große Freude", auch wenn er dafür von München nach Dießen pendeln muss: "Ich möchte demnächst die wöchentliche Stundenzahl erhöhen." Die Situation der unbegleiteten Jugendlichen, die nach Deutschland geflüchtet sind, habe er "seit zwei Jahren mit großem Interesse verfolgt, weil ich selber Jungs in dem Alter hatte".

Dickhaut unterbricht das Gespräch, um kurz in der Küche nach dem Rechten zu sehen. Hilft nichts, die vier Bleche mit Kuchen sind schon eine Stunde nach Öffnung des Cafés alle leer. Der "White Chocolate Banana Cheesecake" war aber auch wirklich köstlich. Viele Gäste sind aus dem Kinderdorf und dem nahen Altenheim gekommen, dazu sind Freunde und Bekannte Dickhauts aus München angereist.

Der Gasthof Drei Rosen sei für ihn und die Jungs "ein Glücksfall", findet Dickhaut. Die große, voll eingerichtete Küche "ist das Herz des Hauses, wo es von allen Seiten rein und rausgeht. Aber auch der Ärger fängt oft in der Küche an." Im Januar hatte er damit begonnen, für die Jungs, die vormittags von Acht bis Eins die Schulbank drücken, Mittagessen zu kochen. Gerade diese Mahlzeit ist ihm ein besonderes Anliegen, wie Dickhaut mit seinem Internet-Blog www.rettet-das-mittagessen.de bewiesen hat. Die Jungs waren schnell begeistert, wie Schöpflin erzählt: "Sie haben gejubelt: Das schmeckt ja wie zu Hause!" Schon im März rekrutierte der Küchenchef die ersten Hilfskräfte - Asif und Abdullahi aus Somalia. Seit Mai, als Doumbaya dazustieß, teilen sie je drei Jungs für einen Monat ein, die immer mittwochs mitkochen. Erst war die Hälfte der Flüchtlinge dazu bereit, inzwischen sind es 90 Prozent. "Die sind von zu Hause gewohnt anzupacken und können richtig gut arbeiten", sagt Dickhaut. Biss und Engagement sei ja auch nötig gewesen, um es aus Syrien, Irak, Afghanistan, Somalia und Eritrea bis nach Deutschland zu schaffen.

Mittlerweile empfinden die meisten Drei Rosen als ihr Zuhause. Sie wollen mit dem Café einen Raum für Begegnungen schaffen, den Dießenern etwas von deren Gastfreundlichkeit zurückgeben - und beim Kochen, Backen oder Servieren zeigen, was sie können. Bei einer Maifeier für ihre Lernpaten durften die Jungs erstmals Auswärtige bewirten, dazu kamen Catering-Aufträge in Landsberg und zu Schöpflins offiziellem Abschied im Kinderdorf. Auch das erste Test-Café mit geladenen Gästen wurde ein großer Erfolg.

Zwar hat das Lokal einen Biergarten, der erst diesen Sommer neu gestaltet worden ist - aber alkoholische Getränke sind natürlich in einer Jugendeinrichtung, die noch dazu eine Mehrheit von Muslimen beherbergt, tabu. So ist die "3-Rosen-Limonade" entstanden, die Dickhaut dringend empfiehlt zu probieren. Das hauseigene Erfrischungsgetränk wird mit Rosen und Minze aus dem eigenen Garten aufgebrüht, es schmeckt lieblich-frisch und ist nicht so pappsüß wie Industrielimo. Der selbstgemachte Rosensirup wird sicher auch an diesem Samstag eine Rolle spielen, wenn zur Dießener Musiknacht Meggadadungga im Drei Rosen spielen und die Jungs Mocktails, also alkoholfreie Cocktails servieren. Darüber hinaus laden die "Drei Rosen Köche" künftig jeden zweiten Samstag im Monat unter dem Motto "Willkommen mittendrin" ein.

Es sei "ein schönes Gefühl, ein altes Gasthaus wieder zu beleben" findet Dickhaut. Eigentlich war die Öffnung erst für das kommende Jahr vorgesehen, aber die Begeisterung und das große Engagement der Jungs habe das Projekt beschleunigt. "Vielleicht gelingt es, im Drei Rosen eine Ausbildungsstelle unterzubringen", hofft Schöpflin. An Dickhaut soll es nicht liegen: Er will deshalb jetzt die Ausbildereignungsprüfung nachholen. Eigentlich typisch deutsch, aber schon merkwürdig: Ein Mann, der mit seinen Büchern und Blogs entscheidend dazu beigetragen hat, dass eine ganze Generation junger Deutscher das Kochen und Genießen für sich entdeckt hat, muss "den Erwerb der berufs- und arbeitspädagogischen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen", wie es in der Rechtsverordnung dazu heißt. Die dreistündige schriftliche Prüfung dürfte dem Autor Dickhaut allerdings doch leichter fallen, als seinen mehr in der Küche verhafteten Kollegen.

Nein, ein Kochbuch wolle er so bald nicht mehr verfassen, sagt der 52-Jährige: "Ich muss es nicht mehr machen, aber vielleicht will ich mit den Jungs mal eins schreiben." Tatsächlich habe auch er etwas von ihnen lernen können: Asif hat ihm gezeigt, wie man in Afghanistan einen Hähnchenschenkel am einfachsten teilt. Und die drei Kurden brachten Dickhaut eine besonders effektive Technik beim Zitronenauspressen bei: Erst beide Spitzen abschneiden, dann zwischen den Handballen auspressen.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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