Das Hobby zum Beruf gemacht:Im Reich der Quilts

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Seit zehn Jahren betreibt Ricarda Heitkämper in Gauting einen speziellen Laden mit Stoffen und Mustern - doch nun muss sie sich eine neue Bleibe suchen

Von Sabine Bader, Gauting

In der Schule war sie im Handarbeiten "nicht die Beste", gibt Ricarda Heitkämper sofort zu. Eher liebte sie den Werkunterricht. Deshalb mag es vielleicht verwundern, dass die 55-Jährige heute mitten in Gauting einen Quilt-Laden betreibt. Wer es nicht weiß: Quilts sind Decken der besonderen Art. Kunstwerke aus Stoff. Einen großen Quilt für ein Doppelbett von Hand zu fertigen, dauert rund ein Jahr. Unabhängig vom Zeitaufwand liegt allein der Stoffpreis bei etlichen 100 Euro. Ein Quilt besteht aus drei Lagen - das Top, die Füllung und die Unterseite. Ersteres gilt es nach eigenem Gusto farblich, grafisch oder ganz frei zu kombinieren. Die drei Lagen werden mit Sicherheitsnadeln oder Heftstichen fixiert und mit der Hand oder der Maschine gequiltet, das heißt zusammengenäht. Die Muster und Geraden der Stiche verleihen der Decke Tiefe.

Bevor Heitkämper ihren Laden "Rose Quilt" in Gauting vor zehn Jahren eröffnet hat, war sie viel unterwegs, hat vieles ausprobiert. Schon mit 17 Jahren, nach dem Realschulabschluss, ging sie für ein Jahr als Kindermädchen nach Hawaii. Da ist sie zum ersten Mal mit farbenfrohen Quilts in Berührung gekommen. Danach hat sie in Irland und England Sprachen gelernt. Auch dort wird viel gequiltet. Wieder zurück, absolvierte sie eine Schneiderlehre und erwarb eine Taxikonzession samt eigenem Taxi. Inspiriert von irischen und englischen Quilts, begann sie auch am Taxistand, wenn sie auf Kundschaft wartete, zu quilten. "So kam ich mit vielen Leuten ins Gespräch", erinnert sie sich. Damals wohnte sie mit ihrer Mutter in Schwabing.

Quilts sind Decken der besonderen Art. Kunstwerke aus Stoff. Einen großen Quilt für ein Doppelbett von Hand zu fertigen, dauert rund ein Jahr. (Foto: Arlet Ulfers)

Vor gut zehn Jahren entschloss sich Heitkämper, ihr Hobby zum Beruf zu machen. In Gauting fanden sie und ihre Mutter Christine, 73, schließlich den geeigneten Laden. Das kleine Häuschen an der Starnberger Straße besitzt im Erdgeschoss Ladenräume und in den oberen beiden Stockwerken zwei Wohnungen - für jede von ihnen eine - und einen kleinen Dachgarten. Ideal. Heitkämper griff zu. Sie verkauft ihre Taxi-Lizenz und eröffnet das Geschäft. Die Mutter hilft ihr dabei. Sie steht täglich mit der Tochter im Geschäft. Die 73-Jährige ist selbst eine erfahrene Näherin, auch wenn sie, wie sie sagt, nicht quiltet. Mit der Idylle der beiden Frauen in Gauting ist es aber in einem Jahr vorbei. Denn die Erben des Grundstücks wollen es bebauen, der Quilt-Laden muss weichen. Jetzt sind die beiden Frauen auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Bekannt geworden sind die zwei Frauen in Schwabing bei einem Hinterhof-Flohmarkt. Ein Fototeam entdeckte den Balkon und schließlich ihre damalige Wohnung mit ihren hohen Räumen, Stuck und den vielen handgearbeiteten Decken. Die Bilder landeten in der Zeitschrift "Wohnen und Garten", das Telefon lief heiß: "Verkaufen Sie Stoffe", fragten die Anrufer stets. Andere Einrichtungszeitschriften im In- und Ausland wurden aufmerksam auf sie und schickten Fotografen - sogar die Hauszeitschrift von Peugeot.

Ihre Stoffe kauft Heitkämper vorwiegend in Amerika. Dort sitzen die meisten Großhändler. Weitere kommen aus England, Holland und Japan. "Auch die Dänen drängen ins Geschäft:" Wichtig sei ihr, dass ihre Stoffe "Präsenz haben" - ob es sich um alte Muster handelt oder um Modernes.

Wer meint, Quilten und Nähen sei etwas für ältere Leute, der irrt. Heitkämper schätzt das Durchschnittsalter der Kunden in ihrem Laden auf etwa 30. Der Unterschied zu den älteren Quilterinnen: Sie arbeiten meist mit der Maschine. Nicht jeder, der hier hereinkommt, quiltet: Viele Kunden sind nur begeistert von der großen Auswahl an Stoffen. Barbara Keller ist eine von ihren. Die junge Mutter betritt das Geschäft an diesem Mittag mit ihrem kleinen Sohn Luis. Ihm will sie Elefantenohren für den Fasching nähen, "denn über Elefanten geht bei ihm nichts". Natürlich findet sie schnell den geeigneten Stoff dafür. Keller kauft gerne hier ein. "Da brauche ich nicht extra nach München zu fahren." Wenn es Ricarda Heitkämpers Laden nicht mehr gäbe, "wäre das ein herber Verlust".

Einst war sie Taxifahrerin, bis sie ihre Leidenschaft für Stoffe zum Beruf machte: Nun quiltet Ricarda Heitkämper in ihrem Laden in Gauting, ihre Mutter Christine sortiert die Stoffe. (Foto: Arlet Ulfers)

Gelegentlich verkauft Heitkämper auch mal eine ihrer selbst gemachten Decken. "Aber wir trennen uns nicht so gerne von ihnen", fügt sie schnell hinzu. Wer Quilts selbst fertigt, der verschenkt sie meist, weil die Handarbeit ja ohnehin niemand bezahlen kann - vor allem, wenn es sich um große Stücke handelt. Eine handgequiltete Decke mit 220 auf 180 Zentimeter fängt laut Heitkämper bei 1000 Euro an. Eine maschinengenähte Babydecke macht sie in vier Stunden, sie kostet 80 Euro. Quilts werden übrigens nicht nur als Tagesdecken verwendet, sondern auch zum täglichen Kuscheln beim Lesen und Fernsehen. Als solche müssen sie natürlich leicht waschbar sein. Für Ricarda Heitkämper ist das Quilten am Feierabend in jedem Fall entspannend - ob beim Ratschen mit Freunden, Fernsehen oder auf dem Dachgarten in der Abendstimmung.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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