Brahmstage:Ein Jazzer namens Brahms

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Crossover-Projekt beim Tutzinger Klassikfestival

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Brahms und Jazz, oh doch, das geht zusammen, sehr gut sogar. 2011 hatten sich die Macher der Tutzinger Brahmstage und Elisabeth Carr von den "KunstRäumen am See" dieses Programm einfallen lassen. Sogar der Geiger Max Grosch war anfangs skeptisch, doch das Ganze hat seither eine wohl kaum erwartete Eigendynamik entwickelt. Nach einer Pause im Vorjahr überraschte "Brahms meets Jazz" nun zum achten Mal mit der Erkenntnis, dass sich hinter der scheinbar konservativen Fassade des Meisters eine Menge davon verbirgt, was Arnold Schönberg in seinem Essay "Brahms the Progressive" einst wohl als Erster aufdeckte. Was er bei Brahms als so fortschrittlich empfand, war der streng formale Aufbau einiger Kompositionen, vor allem aber die kompositorische Verarbeitung des motivischen Materials. Die Technik der ableitenden und entwickelnden Variationen dürfte dabei für den Jazz-Ansatz von zentraler Bedeutung sein. Denn die Möglichkeit, das Material fortwährend neu zu arrangieren und von der formalen Vorlage in einem harmonischen Rahmen kreativ immer weiter auszuschweifen, ist letztlich das Wesen der freien Improvisation auch im Jazz.

Das Max Grosch Quartet mit Jan Eschke (Klavier), Benjamin Schäfer (Kontrabass; eingesprungen für Andreas Kurz) und Bastian Jütte (Schlagzeug) vereinte seine Kräfte, um den Fährten der versteckten Jazzansätze zu folgen, die sich in überraschend viele Werken von Brahms auftun. Fündig wurden die Bearbeiter in den markanten Themen, die enorme Kraft entwickeln können, und in den klaren Basslinien, in den kernigen harmonischen Abfolgen sowie in den rhythmischen Figurationen. Wobei Konstellationen zwischen den drei Elementen untereinander Synergieeffekte auf den Plan riefen, bisweilen als packende Grooves. So gesehen öffnet einem dieses Jazz-Projekt Augen und Ohren: Was bis dahin in der Gesamtanlage der Werke unmerklich aufging, rücken Grosch und seinen Mitstreitern plötzlich in den Vordergrund. Und so wird klar, warum das Ausgangsstück etwa so leidenschaftlich und doch beschwingt ist wie das Liebeslied Nr. 2 oder so spannungsgeladen wie das Scherzo des Klavierquintetts f-Moll.

Die Interpreten gehen aber noch viel weiter. Mit den vier Instrumentalisten des Diogenes Quartetts (Stefan und Gundula Kirpal an den Violinen, Alba González i Becerra an der Viola sowie Stephen Ristau am Violoncello) und dem Pianisten Andreas Kirpal boten sich Grosch Musiker zur Kooperation an, die sich einerseits aufs Originalmaterial verstehen, andererseits aber auch in der Lage sind, genauso entschieden in den Jazzmodus zu wechseln, wenn auch mit kleinen Einstiegshilfen in die für Klassiker ungewohnte Rhythmik. Und gerade dieses Ineinandergleiten der Genres ist ein Gewinn für das Unternehmen. Das nahtlose Changieren bietet die optimale Möglichkeit, Brahms in direkte Berührung mit Jazz zu bringen und trotzdem das Wesen der Werke weitgehend zu erhalten.

Der Ungarische Tanz Nr. 5 diente beim Konzert im Gymnasium als Einstieg. Entscheidend dabei war der Perspektivwechsel, der ins offene Gelände des Crossover führte. So konnten die Musiker im Arrangement das Beste aus zwei Welten aufgreifen, mal imaginativ wie im Scherzo der dritten Sinfonie oder charakterlich kontrastierend wie im vierten Satz des Klavierquintetts f-Moll. Manchmal wagte das Nonett auch eindringlichere Moderne wie etwa im Capriccio Nr. 3 mit einem einprägsamen Element im Unterbau. Nach frenetischem Applaus gab es noch den betörend schönenzweiten und dritten Satz des Violinkonzerts D-Dur.

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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