Berg:Nach fünf Minuten beim Orgasmus

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Lust entsteht zwischen den Ohren, nicht zwischen den Beinen, sagt Sex-Therapeutin Beatrice Wagner. (Foto: Arlet Ulfers)

Bei den "Bergspektiven" kommen die Referenten schnell zum Punkt. Aber anzüglich wird es an diesem Abend nicht

Sex macht glücklich, offenbar auch dann, wenn nur darüber geredet wird. Leicht erhitzt und doch in bester Laune gingen jedenfalls die Zuhörer nach dem jüngsten Vortragsabend in der Reihe der "Bergspektiven" nach Hause. "Man lernt nie aus", lautete bei vielen das Fazit - ob bei einem verheirateten Ehepaar mit vier Kindern oder dem katholischen Pfarrer Piotr Wandachowicz, der sich unter die gut hundert Zuhörer gemischt hatte. Das gilt aber auch für Gastgeber Christian Kalinke: "Renommierte Politiker oder Olympiateilnehmer locken interessanterweise weit weniger Zuhörer an als eine Paartherapeutin und ein Sexualforscher."

Kalinke hatte eingeladen zum Thema Lust & Liebe und das Stüberl im Hotel Schloss Berg war voll. Der Abend wurde aber in keiner Weise anzüglich, auch wenn Jacob Pastötter genau fünf Minuten nach seinem verspäteten Eintreffen schon beim Orgasmus war. Rein verbal versteht sich. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, setzt sich nicht nur sachlich mit seinem Fach auseinander. Das größte Aphrodisiakum ist das Begehrt-Werden, erzählt er. "In einer Paarbeziehung ist es das Wichtigste." Es stehe häufig am Anfang und verliere sich dann. Die wesentliche Arbeit einer Sexualtherapie bestehe darin, dieses Begehren wieder zu aktivieren. Auch außerehelich wirke dieses Aphrodisiakum nahezu immer. "Fühlt sich jemand richtig begehrt, ist es beinahe unmöglich, die Handbremse zu ziehen." So sicher ist er sich, dass er ein Experiment vorschlägt: "Stellen Sie sich mir gegenüber, egal ob Mann oder Frau. Ich garantiere Ihnen, wir lägen in zehn Minuten auf dem Boden." Kalinke ist kurz sprachlos, was selten vor kommt, der Saal amüsiert. Das Experiment wird dann aber doch verworfen.

Dem 51-Jährigen sieht man sein Fachgebiet nicht an. Er könnte ebenso Direktor einer Planungsbehörde sein. Akkurat gekleidet im taubenblauen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte referiert er, u wie schwierig das Forschen in seinem Gebiet eigentlich sei: "Das Problem der empirischen Sexualforschung liegt in der menschlichen Fehleinschätzung." Beim Sex seien die Menschen ja allein. "Wenn er passiert, glauben wir es, gäbe nichts Besseres, doch dann tritt ein Art Amnesie ein, und alles ist in Kürze vergessen." Auch die Wahrnehmung von Mann und Frau sei eklatant unterschiedlich: "Männer schätzen, wie viel Sex sie haben, Frauen zählen, wie oft sie Sex haben."

Das kann Beatrice Wagner nur bestätigen. In einem tief dekolletierten Kleid, hohen Pumps und mit knallrot geschminkten Lippen plaudert sie aus ihrem Therapiealltag. Seit sechs Jahren praktiziert sie mit Ihrer Praxis für Paar- und Sexualtherapie in München und Icking. In das Fach eingeführt hat sie Oswald Kolle. Mit ihm zusammen hat sie ein Buch verfasst: "Sex: Die 10 Todsünden" und sich seinen Lebensauftrag vom ehrlichen Reden zu Herzen genommen. Ihr Credo: Lust entsteht zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen. Probleme könnten auch nur dort gelöst werden.

Und so wurde offen von Hemmungen gesprochen: Über sexbesessene Männer und Nymphomaninnen ebenso wie über den Testosteronspiegel. Das Hormon Testosteron steuert die Lust und wird auch bei Frauen bis ins hohe Alter ausgeschüttet. Es war die Rede von biogenetischen Checkern, die stets auf denselben Phänotyp abonniert sind und Lust verflachenden Pornos.

Das Gespräch über die Liebe kam zu kurz. Eine Antwort auf die Frage "Ist Liebe ohne Sex möglich?" mussten die beiden redegewandten Referenten schuldig bleiben. Sex ohne Liebe - kein Problem.

© SZ vom 24.10.2016 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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