Berg:Jenseits der Eitelkeit

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Der in Gauting lebende Star-Fotograf Florian Holzherr versteht sich als Handwerker. In der Berger Reihe "Kunstwerk des Monats" zeigt er aufregende und scheinbar wie nebenbei gemachte Bilder

Von Gerhard Summer, Berg

Es gibt Fotos, die darauf aus sind, sich selbst zu preisen: so bedeutungsschwanger oder spektakulär, dass es jedem auffallen muss, sehr raffiniert in der Perspektive, ausgeleuchtet und inszeniert bis ins letzte unscheinbare Detail. Ist das Kunst? Womöglich. Auch wenn die Aufnahme so gut wie gar nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hat und am Computer mühsam zusammengestöpselt worden ist.

Florian Holzherr macht andere Bilder, der Gautinger versteht sich als Handwerker, ohne kokett klingen zu wollen oder auf Understatement zu machen. Er überfährt den Betrachter nicht. Er will ihn nicht vor Bewunderung in die Knie zwingen. Seine Fotos sind im besten Sinne zurückhaltend und völlig uneitel und gewinnen genau dadurch ihre Größe. Sie setzen nicht sich selbst und ihren Schöpfer in Szene, sie bringen möglichst gut zur Wirkung, was sie zeigen oder plausibel und erlebbar machen sollen: Architektur von Allmann, Sattler und Wappner, Herzog & de Meuron, Soter & Partner zum Beispiel oder die Werke von Künstlern wie Donald Judd, Chris Burden, Dan Flavin, Keith Sonnier, Olafur Eliasson und James Turrell.

Auch die freien Arbeiten des international renommierten Fotografen haben diese Qualität. Sein "Train in Marfa", der nun in der Berger Reihe "Kunstwerk des Monats" zu sehen ist, wirkt wie nebenbei gemacht. Klar, das ist Illusion. Holzherr packte dafür die große Linhof-Panorama-Kamera aus. Der Güterzug, um den es geht, stand schon eine Stunde da, erzählt Holzherr, er sei trotzdem erst mal zum Einkaufen in die texanische Stadt Marfa gefahren und habe sich gedacht: Wenn er hinterher noch da ist, dann mach' ich ein Foto. Die Aufnahme, die dabei herauskam, wirkt auf den ersten flüchtigen Blick fast unscheinbar. Zwei Drittel braune Steppe, ein Drittel Himmel, in der Ferne ein langer, langer Güterzug. Wer noch mal hinschaut, sieht sofort ein zweites Gleis, das parallel zum rechten Bildrand verläuft. Okay, das wäre nicht schön, wenn jetzt ein zweiter Zug käme, der krachte nämlich gegen die letzten Waggons des ersten.

Am unteren Rand, ziemlich genau in der Mitte, steht ein hölzerner Stromleitungsmast, der aussieht wie ein Kreuz. So tun sich zwei Ebenen auf: Holzherr feiert vordergründig die unendliche amerikanische Weite, den unglaublich blauen Himmel. Und zugleich gibt die Kreuzung der Bahnlinien dem Bild eine unterschwellige bedrohliche Schräge. Da könnte etwas aus dem Lot geraten, der hölzerne Mast deutet wie ein Warnzeichen darauf hin. Der Gautinger hat das schon 2003 entstandene Foto wegen dieses Kreuzes an Freunde und Bekannte als Weihnachtskarte verschickt, "aber keiner hat's kapiert".

Katja Sebald, die Kuratorin der Ausstellungsreihe, die sich zumindest an diesem Abend eigentlich "Handwerk des Monats" nennen müsste, spricht von einer "atemberaubenden Lässigkeit". Genau das zeichne die Arbeiten dieses Star-Fotografen aus, der sich nie Star-Fotograf titulieren würde: Sie seien wie zufällig entstanden und würden deshalb heute auch ohne Rahmen oder anderen Pomp präsentiert. Holzherr hat noch drei Fotos mitgebracht, sie zeigen Arbeitsräume des von ihm verehrten Minimal-Art-Künstlers Donald Judd (1928 bis 1994). Judd war in den Siebzigerjahren extrem genervt gewesen vom Rummel der Kunstszene in New York. Er habe in Marfa erst ein altes Fort und später ein Bankgebäude gekauft und vorsichtig saniert, sagt Holzherr. Die Aufteilung imponiert ihm noch immer: jeweils ein Raum für jeweils ein Judd-Projekt.

Jeder andere Fotograf würde spätestens jetzt über seine Arbeit reden. Was aber macht Holzherr? Er spricht ausschließlich über Judd und liest einen Text über Möbel vor, der aus einem Buch des Künstlers mit dem Titel "Architektur" stammt. Natürlich geht es dabei um den Unterschied zwischen Kunst und Handwerk. Also darum, dass ein Kunstwerk sich selbst genügt, während ein Stuhl als Stuhl genügen muss. Judd formulierte es so: "Ein guter Stuhl ist ein guter Stuhl". Im Falle von Florian Holzherr gilt freilich: Gutes Handwerk kann viel mehr sein als gutes Handwerk.

Holzherrs Fotos sind noch den ganzen April im Berger Katharina-von-Bora-Haus (Fischackerweg 8) zu sehen. Weitere Infos unter 08151/973176.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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