Berg:Auf das Buch gekommen

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Tanja Graf und Dini Kortmann-Huizing diskutieren in der Talk-Reihe "Bergspektiven" über Leselust

Von Katja Sebald, Berg

Wir befinden uns im Jahr 2018. Ganz Deutschland ist von Barbaren besetzt. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Lesern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Vielleicht hatte Gastgeber Christian Kalinke am Donnerstagabend im Schlosshotel Berg mit großen Wehklagen über das Ende des Lesens gerechnet. Jedoch, er musste sich von den zwei Bücherfrauen, die er im Rahmen seiner Talk-Reihe "Berg Spektiven" eingeladen hatte, eines Besseren belehren lassen: Nicht nur Tanja Graf, die Leiterin des Münchner Literaturhauses, und Dini Kortmann-Huizing, Inhaberin der Berger Buchhandlung "Schöner Lesen", berichteten mit echter Leidenschaft von ihren Leseerlebnissen, auch das zahlreich erschienene Publikum bewies eindrucksvoll Literaturkenntnis und Interesse an Büchern.

Sie habe sich gut informiert, berichtete Dini Kortmann-Huizing. Eine Buchhandlung sei nur in Orten mit mehr als 10 000 Einwohnern rentabel, habe man ihr gesagt, Berg mit einen 8000 Einwohnern sei also viel zu klein. Sie wagte es trotzdem. Zehn Jahre später gibt es in Berg wohl niemanden, der noch nie ein Buch bei ihr gekauft hat. Und es gibt Bücher, die sie jedem Berger zweimal verkauft hat, weil sie selbst so begeistert davon ist. Sogar der bekennende Nicht-Leser Kalinke gehört zu ihren Kunden und hatte sie deshalb als "Local Hero" zu seiner Veranstaltung eingeladen. Diese Klassifizierung trifft es jedoch nicht ganz, denn Kortmann-Huizing hatte bereits in Seeshaupt eine erfolgreiche Buchhandlung mit Galerie geleitet, bevor sie sich selbstständig machte. Sie ist mit der Literatur- und auch Kunstszene weit über die Region hinaus vernetzt und kennt, ganz nebenbei, die Lesegewohnheiten und Geheimnisse der Berger Prominenz. Schon beim Einkauf weiß sie, wem sie welches Buch verkaufen wird, verriet sie - mehr aber auch nicht. Irgendwelche Indiskretionen waren ihr nicht zu entlocken. Stattdessen schwärmte sie von Lieblingsautoren, von langen Abenden und Mittagspausen, die sie zum Lesen nutzt.

Und auch Tanja Graf liest. Die gelernte Buchhändlerin, ehemalige Lektorin und Verlegerin, die seit 2016 das Münchner Literaturhaus leitet, kennt zwar das Geschäft mit Büchern, aber sie hat die Leidenschaft für Literatur nicht verloren. Sie sei eine "Gschaftlhuberin", beschrieb sie sich selbst, und am Literaturhaus deshalb genau am richtigen Ort: Sie organisiert Lesungen, Diskussionsrunden und Ausstellungen, ist an mehreren Abenden in der Woche Gastgeberin und Moderatorin, bringt Menschen miteinander ins Gespräch und freut sich jedes Mal, wenn das Haus voll ist. Sie habe in München ein treues Stammpublikum. Die Morgenstunden aber nutzt sie für Lektüre - und auch sie interessiert sich nicht so sehr für Verkaufszahlen von Büchern, sondern für gute Geschichten. Und als am Ende eine Besucherin sie auf das Motto des Abends "Wer liest, hat mehr vom Leben" ansprach, antwortete sie: "Mit jedem Buch bekommt man ein weiteres Lebens dazu und kann gleichzeitig ganz anders auf das eigene Leben blicken."

Spätestens da war auch Christian Kalinke überzeugt, der als einziger im Saal mit den Autorennamen und Buchtiteln, die man sich wie Pingpong-Bälle zuspielte, eher wenig anfangen konnte. Er gelobte Besserung und wünschte sich zu Weihnachten "Mittelreich" von Josef Bierbichler - ein Buch, das man nach Ansicht Grafs gelesen haben muss, wenn man am Starnberger See lebt.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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