Berg am Starnberger See:Warum manche Oskar Maria Graf bis heute nicht verzeihen

Oskar Maria Graf, deutscher Schriftsteller

Der berühmte Schriftsteller Oskar Maria Graf sitzt bei einer Rast im Garten.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Der Schriftsteller hat die Bewohner seines Heimatorts Berg in seinen Romanen nicht geschont. Eine Spurensuche zum 50. Todestag.

Von Katja Sebald, Berg

"Er war meistens in der Lederhose unterwegs." Es ist ein vielstrapaziertes Klischee, aber es scheint doch zuzutreffen: Als Oskar Maria Graf im Sommer 1958 nach einem Vierteljahrhundert zum ersten Mal wieder in seine Heimat kam, da spazierte er in der Lederhose durch Berg und schaute bei alten Bekannten vorbei. Diejenigen, die ihn bei seinen Besuchen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren noch persönlich erlebt haben, waren damals noch junge Männer und hatten nichts mitzureden, wenn ihre Väter sich mit dem Schulfreund von einst unterhielten. Die kurzen Begegnungen mit dem Schriftsteller haben jedoch auch bei ihnen einen tiefen Eindruck hinterlassen.

An die 2008 gestorbene Tochter von Oskar Maria Graf, Annemarie Koch, die von allen liebevoll Annamirl genannt wurde, erinnern sich noch viele Menschen in Berg. Jahrzehntelang kochte sie für die Kindergarten- und Hortkinder in Aufkirchen. Sie sah ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich und saß dem Bildhauer Max Wagner für das Denkmal Modell, das 1994 vor der nach dem Schriftsteller benannten Schule in Aufkirchen aufgestellt worden ist.

"Man hat mir als Kind gesagt, dass mein Vater berühmt ist", sagte Annemarie Koch einmal, "aber ich konnte mir nichts drunter vorstellen". Weil die Eltern sich bald nach ihrer Geburt 1918 trennten, wuchs sie bei ihrer Großmutter Therese Graf in Berg auf.

Ihre 1943 geborene Tochter Ricarda wiederum hörte zum ersten Mal im Radio von ihrem berühmten Großvater: Der Schriftsteller Oskar Maria Graf feiere im Exil seinen 60. Geburtstag, an diesen Satz erinnert sie sich noch ganz genau. "Das ist dein Opa", habe ihre Mutter daraufhin gesagt. "Damit konnte ich gar nichts anfangen", erinnert sie sich, "ich hatte gar keinen Bezug zu ihm". Auch Annemarie Koch bekannte einmal in einem Interview, sie habe ihren Vater erst 1958 richtig kennengelernt: "Groß worden bist, Annamirl", habe er zu seiner 30-jährigen Tochter bei der Ankunft am Flughafen gesagt.

Fotos von damals belegen, dass Graf in derselben Lederhose und in derselben karierten Joppe aus dem Flugzeug stieg, die er 25 Jahre zuvor zu Beginn seines Exils in Brünn getragen hatte. An diesen ersten Besuch zur 800-Jahr-Feier der Stadt München erinnert sich auch Ricarda Glas noch sehr genau, auch an den Eklat, als er in der Lederhose im Cuvilliés-Theater auftrat: "Damals haben viele nicht verstanden, dass es ein symbolisches Kleidungsstück war. Meine Mutter war auch bei der Lesung. Ich war noch ein junges Mädchen, ich durfte nicht mit. Aber sie hat gesagt, die Lederhose hat wunderbar gepasst."

Andreas Ammer und Graf

Verewigt in Bronze: Die Gemeinde Berg ließ das Denkmal zu Grafs 100. Geburtstag errichten.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Schon einige Zeit vorher hatte Graf aus Amerika ein Foto von sich und seiner Frau Mirjam geschickt und ihr darauf geschrieben: "So, liebe Ricarda, schaut Dein Opa aus." Das waren wohl die ersten Annäherungsversuche, denn es hatte eine lange Funkstille zwischen dem Schriftsteller und seiner Tochter gegeben. Er konnte nicht begreifen, dass sie sich als junges Mädchen für die nationalsozialistische Ideologie begeistert hatte.

"Aber meine Tante Therese, bei der wir gewohnt haben, hat zwischen den beiden vermittelt und sie haben sich ausgesprochen", weiß die Enkelin. Auch während der Deutschlandreisen 1960, 1964 und zuletzt 1965 kam Oskar Maria Graf immer wieder zu Besuch nach Berg: "Er war natürlich auch viel unterwegs zu Lesungen, aber wenn er bei uns war, dann war er einfach der Mittelpunkt von allem."

Mit seinem autobiografischen Roman "Wir sind Gefangene" war Oskar Maria Graf 1927 der literarische Durchbruch gelungen. Bereits 1925 war "Die Chronik von Flechting" erschienen, in der Graf ein Dorf beschreibt, das seinem Heimatort Berg sehr ähnlich ist. In anderen Erzählungen und nicht zuletzt in seinem Hauptwerk "Das Leben meiner Mutter" werden die Bewohner Bergs mit ihren zuweilen durchaus unrühmlichen Besonderheiten kaum oder gar nicht verschlüsselt genannt.

Graf gilt heute als der einzige bayerische Schriftsteller von Weltrang. In Berg aber ist mancherorts noch fünfzig Jahre nach seinem Tod von dem Groll von einst etwas zu spüren. Manche alteingesessene Familien haben es dem Schriftsteller nie verziehen, dass er sie so an den Pranger gestellt hat. "In Berg hat man meinen Großvater nicht mehr verstanden", meint auch Ricarda Glas, "aber ich glaube, er war ein sehr sensibler Mensch und wollte davon mit seinen Poltereien ablenken."

Auch Stephan März, Jahrgang 1932, kann sich noch gut an eine persönliche Begegnung mit Oskar Maria Graf erinnern. Er ist sich sicher, dass der Schriftsteller bei seinen Besuchen in Berg die Lederhose trug: "Und er ist mit meinem Vater bei uns auf der Hausbank gesessen, die haben sich viel von früher zu erzählen gehabt."

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