Thomas Grasberger hat sein Büro in der Adalbertstraße in der Maxvorstadt, vis-à-vis von seiner Wohnung. Es öffnet ein großer, bärtiger Mann mit kariertem Hemd. Wenn man anschließend den Flur betritt und kein Zwerg ist, blickt man auf ein blaues Schild, das in etwa 1,80 Metern Höhe angebracht ist. Auf dem Schild steht: "Begräbnisverein. Gegründet 1871. Katholiken aller Stände werdet beizeiten Mitglied bei uns." Man fühlt sich sofort wohl bei Thomas Grasberger.
Der 51-Jährige geht nach rechts ab in sein Büro. Auf dem Schreibtisch steht ein Computer. Der Bildschirmschoner ist voll mit blau gekleideten Fußballfans. Grasberger ist Anhänger des TSV 1860. "Kioyo", sagt er bloß. Das ist kein Protokoll über Klimaveränderungen (jenes hieß Kyoto); Francis Kioyo verschoss 2004 einen Elfmeter, weshalb 1860 aus der Bundesliga absteigen musste. Einer wie Grasberger vergisst so etwas nicht. Obwohl er bestimmt viel im Kopf hat - das Büro ist vollgestellt mit Büchern. Biografien, Romane, viele Geschichtsbücher.
Der Journalist und Schriftsteller Thomas Grasberger beschäftigt sich viel mit bayerischer Kulturgeschichte. Er hat jetzt nacheinander die Bücher "Grant", "Stenz" und "Flins" herausgebracht. Flins ist Geld.
Er wuchs in Altötting auf, einem Soziotop, wo er sich an Konventionen rieb
Wer Grasberger verstehen will, muss sich mit seiner Geschichte beschäftigen. Diese beginnt in Altötting, im tiefen Bayern, im Land der CSU, der katholischen Kirche, der Enge. Jedenfalls war das in den Siebziger- und Achtzigerjahren so, als Grasberger in Altötting aufwuchs und als Teenager gegen das Althergebrachte aufbegehrte - in diesem "wunderbaren Biotop oder Soziotop, wo man sich herrlich an Konventionen reiben konnte", sagt er. Es ist wie bei den Passauer Kabarettisten Bruno Jonas oder Sigi Zimmerschied, die sich ebenfalls abarbeiten konnten an den Menschen in ihrer Heimat und daraus jene Kreativität schöpften, die sie auf die Bühne spülte.
Es waren harte Zeiten, damals. "Wir haben ein Jugendzentrum gegründet, und am Tag vor der Einweihung gab es einen Brandanschlag", erzählt Grasberger und verdreht die Augen: Als ob ein Jugendzentrum schon etwas Schlimmes wäre. Aber es waren auch schöne Zeiten. Man las viel und träumte sich weg, man saß Nächte lang zusammen, trank, rauchte und wollte die Welt verändern, eine Welt, die trotz allem weniger Angst machte als heute. Es würde schon irgendwie gut gehen, dachten viele. Dachte auch Thomas Grasberger.
Was Grasberger von anderen unterschied: Er brach nicht radikal mit seiner Heimat, wie es manche taten, die ins lässige Berlin flohen oder sich zumindest innerlich von den weißblauen Betonköpfen distanzierten. Grasberger studierte in München Politik, Philosophie - und bayerische Geschichte. "Mich hat schon immer die Geschichte vor der Haustür interessiert, das alltägliche Leben der sogenannten kleinen Leute", sagt er. "Darüber hat man in Büchern wenig erfahren." Umso mehr schätzt er "Das Leben meiner Mutter" von Oskar Maria Graf. Sicher steht es irgendwo in seinen Bücherregalen.
Dass immer mehr Buchläden Cafés weichen, nervt den Bibliophilen sehr
Als Grasberger in seinem Büro für das Zeitungs-Foto posiert, lehnt er sich gegen ein Bücherregal. Es wackelt. Man ahnt, was dieser fantasiebegabte Mann sich ausmalt: Dass es auf ihn fällt, ihn unter sich begräbt. Einen Titel für das Foto hätte er dann schon. "Seine letzten Augenblicke", sagt Grasberger. Er ist witzig.
Dann setzt er sich hin und spricht über Schwabing. Man muss nicht über Bücher reden, auch nicht über seine, um Thomas Grasberger kennenzulernen. Man kann auch über Bücherläden und Antiquariate sprechen. In den vergangenen Jahren haben ein paar zugemacht in Schwabing, Grasberger nennt das "Basis" und das "Goltz", und es ist klar, dass es einem Romantiker und Bibliophilen wie ihm weh tut, wenn diese Läden verschwinden. "Dafür wird jetzt in den Geschäften, die stattdessen da sind, viel Kaffee getrunken", sagt er. Es ist ironisch gemeint. Und ein wenig verächtlich.
Grasberger ist nach seinem Studium auf die Journalistenschule in München gegangen, obwohl er bis dahin nie irgendwas mit Medien gemacht hatte. Ein Freund hatte ihm den Tipp gegeben. Grasberger fand den Einfall gut. Nach der Journalistenschule war er freier Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk, bei der Süddeutschen Zeitung, beim Focus und bei der Welt und drei Jahre lang Redakteur im Feuilleton der Abendzeitung, wo er sich um Literaturthemen gekümmert hat. Er hat dort wieder aufgehört. Das Freie passt wohl besser zu ihm. Sagt er selbst.