Auszeichnung:Die Möbelmacher von Machtlfing

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Die IWL-Werkstätte für Menschen mit Behinderung erhält einen Design-Preis für ihr mitwachsendes Regalsystem

Von Christine Setzwein, Machtlfing

Es ist warm in der Schreinerei - und laut. Da wird gesägt und gebohrt, gedübelt und geölt, gehobelt und geleimt, verpackt und gestapelt. Über den jeweiligen Arbeitsbereichen hängen Schilder mit großen Buchstaben. "Bandsäge" steht da drauf, "Vierseitenhobelmaschine" oder "Kappsäge". Die 20 Mitarbeiter sind konzentriert bei der Sache. Selbstbewusst zeigen sie, was sie können. Und haben allen Grund dazu. Sie haben dazu beigetragen, dass die Machtlfinger Werkstätte für Menschen mit Behinderung der Isar-Würm-Lech GmbH (IWL) einen ganz besonderen Preis gewonnen hat: den "German Design Award Special 2017" in der Kategorie "Excellent Product Design - Furniture". Ausgezeichnet wurde damit das Regal "brick for kids", das unter dem Markennamen "pure position" in Machtlfing gefertigt wird. Entworfen hat die Kindermöbel-Serie der Berliner Designer Olaf Schroeder.

Larissa Bräcker hat eine wichtige Aufgabe: Sie ist für die richtige Politur der Möbelteile zuständig. (Foto: Arlet Ulfers)

Thomas Keller, 45, ist Schreinermeister mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung und Bereichsleiter in der Schreinerei. Er erzählt, wie es zur Zusammenarbeit der IWL-Machtlfing mit Schroeder kam.

2007 startete der Berliner Produktdesigner die pure position-Serie mit dem "growing table", einem mitwachsenden Kinderschreibtisch mit aufsteckbarem Zubehör. Weil er mit der Arbeit der damaligen Werkstätte nicht mehr zufrieden war, kam er auf die IWL zu. Die Machtlfinger übernahmen den Auftrag und schlugen zu, als Schroeder das Label 2011 verkaufte. Seitdem ist die IWL Eigentümer der Marke pure position, die nicht nur den Schreibtisch mit passenden Hockern und Bank im Portfolio hat, sondern mittlerweile auch Container, Truhen, ein mitwachsendes Bett vom Baby- bis zum Jugendalter, das später auch als Gästeliege oder Sofa genutzt werden kann, und schließlich das modulare Regalsystem "brick for kids", für das jetzt der Preis verliehen wurde. Ursprünglich nur in Weiß, gibt es die Kindermöbel aus Buchen- und Birkenholz nun auch mit farbigen Teilen. Weil die Teile nur gedübelt sind, wurde extra eine neue Dübelbohrmaschine angeschafft.

Die Kindermöbelserie "pure position" hat der Berliner Designer Olaf Schroeder entworfen. Dafür gab's jetzt einen Preis. (Foto: oh)

Hochwertige Möbel in einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung herzustellen, das geht nicht von Heute auf Morgen. "Was wir uns immer fragen müssen: Ist das machbar für unsere Leute?", sagt Keller. Oft dauert es Monate oder gar Jahre, bis ein Arbeitsschritt richtig sitzt. Für das Verleimen zum Beispiel braucht es ein Gespür für die richtige Dosierung. Martin Darchinger hat den Dreh raus. "Ich verleime die Tools", sagt der 28-Jährige ganz lässig, als ob es das Leichteste der Welt wäre.

IWL-Betriebsleiter Thomas Keller (links) schaut Martin Darchinger beim Verleimen der Tools für den Schreibtisch über die Schulter. (Foto: Arlet Ulfers)

Mit pure position ist die IWL seit fünf Jahren auf der Internationalen Möbelmesse Köln vertreten. "Wir mussten jahrelang warten, bis wir eine Stand bekamen", sagt Betriebsleiter Keller. Einmal hat die Schreinerei einen Betriebsausflug nach Köln auf die Messe gemacht. Seitdem, so Keller, "identifizieren sich unsere Leute noch mehr mit ihrem Produkt". Es ist ja auch nicht billig, was die Machtlfinger da produzieren. Ein Schreibtisch-Set kostet um die 1250 Euro, das "growing bed" gibt es ab 2500 Euro. Keller: "Das sind keine Wegwerfartikel." Vertrieben werden die Kindermöbel, die das PEFC-Siegel für nachhaltige Waldbewirtschaftung haben, deutschlandweit über etwa 80 Fachhändler, aber auch in Dubai gibt es offensichtlich Interesse an den Produkten "Made in Bavaria". Wer in Machtlfing selbst einen Tisch ordert, hat ihn in etwa zehn Tagen, für ein Regal braucht die Werkstatt vier Wochen.

Neben der eigenen pure position-Serie produzieren die IWL-Mitarbeiter auch Teile für die ebenfalls hochwertige Möbelserie Iwelo. Der Versuch, mit einem Regalsystem auf dem Möbelmarkt für Erwachsene Fuß zufassen, ist nicht gelungen, sagt Keller. "Da gibt es schon zu viele." Seither beschränken sich die Machtlfinger auf den Kindermöbel-Sektor. Etwa 70 Schreibtisch-Sets pro Jahr verlassen die Werkstatt, "das Doppelte könnten wir schaffen", meint Keller. Auch den Markenshop Side by Side beliefert die IWL. Und die Machtlfinger haben schon wieder neue Ideen. In Köln haben sie jüngst den Schrank "kids cabinet" präsentiert. Außerdem arbeiten sie an einem einfacheren und günstigeren Schreibtisch, der 2018 vorgestellt werden soll.

Es ist kurz vor 16 Uhr. Alle Mitarbeiter, die zwei Gruppenleiter und der Produktionshelfer versammeln sich vor dem großen Tagesplaner. Jetzt wird festgelegt, wer was am nächsten Tag zu tun hat, wem welcher Platz zugewiesen wird. Struktur ist wichtig. Martin Darchinger ist sicher wieder beim Leimen. Weil er es kann.

© SZ vom 08.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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