Ausstellung in Dießen:Das Ende ist der Anfang

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Zum zweiten Mal nach 2003 ist der Künstler Karl Witti im Dießener Taubenturm zu Gast. Sein Zyklus "Der Brief aus Samarkand" zeugt von großem zeichnerischen Können und erzählt obendrein eine spannende Geschichte. (Foto: Georgine Treybal)

Karl Wittis Bilderzählungen thematisieren Zerstörung und Neubeginn. Erstmals ist jetzt sein Zyklus "Der Brief aus Samarkand" im Taubenturm zu sehen

Von Armin Greune, Dießen

In vielen von Karl Wittis Zeichnungen und Gemälden ist das Schlimmste schon überstanden: Vor einer postapokalyptischen Kulisse finden die Menschen wieder zur Einheit mit der Natur, der Garten Eden wuchert über die Relikte der industriellen Zivilisation. Mit seinem utopischen Realismus bezieht sich der Künstler aus Eresing auf die hinduistische Kosmologie: Ihr zufolge befinden wir uns am Ende des vierten und letzten, des eisernen Zeitalters, das unter dem Regime des Dämons Kali für Verfall und Verderben steht. Hass, Gier und Verwirrung führen zum Niedergang, dem der Neubeginn und Wiederaufstieg ins nächste goldene Zeitalter folgt. Im Taubenturm am Marienmünster findet sich als Beispiel dieser Thematik ein Bild aus dem Werkzyklus "Nachricht aus Ularusien", das mit bunten Blumen und üppigem Grün zwischen Ruinen eine märchenhafte, rosige Zukunft verspricht.

Doch der Schwerpunkt der aktuellen Ausstellung, die noch an den Wochenenden 22./23. und 29./30. September jeweils von 12 bis 18 Uhr zu sehen ist, liegt auf einem eher düster wirkenden, zeichnerischen Essay: "Der Brief aus Samarkand" schildert über 16 Stationen in Text und Bild von der Suche des Ich-Erzählers nach seinem Freund Aitu. Sie führt durch eine Geisterstadt und auf einem Auslegerkanu übers Meer bis zur überraschenden Auflösung auf einem Berg. Mit präzisem Strich und höchstem zeichnerischen Können hat Witti diese nun erstmals öffentlich gezeigte Werkreihe gestaltet: Auf einem Grund aus Acrylfarben setzt er Buntstifte und ein Messer ein, den Text fügte er in Freihandschrift hinzu. Der erzählt eine spannende Geschichte, deren Magie sich der Betrachter kaum zu entziehen vermag. Und wie in jedem Mystery-Thriller ist auch ein Cliffhanger eingebaut: Das letzte Bild im ersten Stock endet "Plötzlich sehe ich...", die Fortsetzung folgt dann in der nächsten Etage des Taubenturms.

Weil Kurator Christian Burchard zu Eröffnung verhindert war, erläuterte der Künstler selbst, was ihn zu seiner Bilderzählung inspiriert hat. Unter dem Eindruck des Todes seines Schwagers hatte Witti 1997 das Ethnologische Museum in Berlin besucht. Der an den Mythologien von Naturvölkern besonders interessierte Künstler war fasziniert von einem ausgestellten Auslegerkanu mit Krebsscheren-Segel. Es wurde 1964 auf einer entlegenen Südseeinsel gefertigt und geriet für "vier Rollen Federgeld" in den preußischen Kulturbesitz. Der Name des Boots "Maunga Nefu", bezeichnet den Berg, der als Heimat der Totenseelen gilt.

Witti, aktuell Träger des Kunstpreises des Landkreises Landsberg, hat an der Münchner Akademie erst Bildhauerei studiert und wurde dann Zeichenlehrer an der Oberammergauer Holzbildhauerschule, bis er 1982 die Beamtenlaufbahn aufgab. Ende der 1980er Jahre entwickelte er seinen spezifischen, narrativen Zeichenstil auf Basis einer Vielzahl von akribischen Naturstudien. Wiederkehrende Motive in seinem Werk sind unter anderem das Krebsscheren-Segelboot und die Seeschwalben, die dem Betrachter auch im "Brief aus Samarkand" begegnen. Sein Lebensthema als freier Künstler sind die Sehnsüchte und Ängste der modernen Menschen und die Zerstörung der Natur. Wittis Haupt-Broterwerb aber ist die Theatermalerei: Er hat für Kammerspiele, Residenz- und Volkstheater gearbeitet und drei Mal die Bühnenmalerei für die Passionsspiele in Oberammergau geleitet. Ob der 70-Jährige 2020 die Aufgabe noch einmal übernimmt, ließ er bei der Vernissage offen: "Man wird da schon auch ans Kreuz genagelt." Zehn Monate lang sei man mit der Herstellung der zwölf 16 mal acht Meter großen Prospekte beschäftigt.

Im Turm werden noch vier Porträts aus der 24-teiligen Serie "Gegenwelten" gezeigt, mit der Witti "den Idolen meiner Jugend" je eine Blume widmet. Giorgio de Chirico etwa hat er eine Rose zugedacht. 2003 hatte der Künstler bereits die sagenhafte Reise "Herr Matthias Kneißl fährt nach Amerika" im Turm präsentiert. Auch der zählt zu den Jugendhelden des Künstlers - wie Anne Frank, Dylan und Kafka.

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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