Ausstellung:Eindringliche Psychogramme

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Die Fotografin Barbara Niggl Radloff aus Feldafing porträtierte in den Fünfzigerjahren Heinrich Böll, Günter Grass und Tilly Wedekind. Das Stadtmuseum München übernimmt nun ihren Nachlass

Von Katja Sebald

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(Foto: Barbara Niggl Radloff, Repros: Nila Thiel)

Günther Grass und...

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(Foto: Barbara Niggl Radloff, Repros: Nila Thiel)

...Heinrich Böll, fotografiert von Barbara Niggl Radloff.

Der Nachlass von Barbara Niggl Radloff geht an die Sammlung Fotografie im Münchner Stadtmuseum, wird dort wissenschaftlich erschlossen und voraussichtlich 2021 in einer großen Ausstellung präsentiert werden. Damit erfährt die Fotografin, die bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 in Feldafing lebte und sich stets als Bildjournalistin verstand, erstmals eine Würdigung als Künstlerin. Zu verdanken ist dies dem Kunsthistoriker Maximilian Westphal, der während eines Praktikums am Stadtmuseum auf ein Konvolut von Niggl Radloffs Porträtfotografien stieß und sie für seine, mittlerweile mit dem Hochschulpreis der Stadt München ausgezeichnete Masterarbeit einer wissenschaftlichen Analyse unterzog.

Schuf mit ihren Porträts berühmter Autoren und Schauspieler Dokumente für das kulturelle Leben in der Wirtschaftswunderzeit: die Fotografin Barbara Niggl Radloff, die bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 in Feldafing lebte. (Foto: privat)

Barbara Niggl wurde 1936 in Berlin geboren. Bereits ein Jahr später übersiedelte die Familie nach Feldafing. 1944 starb ihr Vater, ein Ingenieur. Anfang der Fünfzigerjahre zog Barbara Niggl nach München, 1954 besuchte sie die Münchner Modeschule und von 1955 an das Institut für Bildjournalismus von Hans Schreiner, eine private Fotoschule. Kaum hatte sie die Schule abgeschlossen, veröffentliche sie erste Bilder in der Süddeutschen Zeitung. Auch in der Zeit, in Magazinen wie Stern, Quick und Twen erschienen ihre Arbeiten.

Bei der 800-Jahr-Feier der Stadt München im Jahr 1958 fotografierte sie international bekannte Schriftsteller, die für Lesungen in der Stadt gastierten. Auch die Künstler, die sich um die 1957 gegründete Galerie Otto van de Loo scharten, ließen sich von ihr porträtieren. Von 1960 an war Barbara Niggl die erste Frau unter den Verlagsfotografen der Münchner Illustrierten, für ihre Reportagen reiste sie nach Paris, London, Jerusalem und Moskau. Die junge Fotografin war vor allem wegen ihrer außergewöhnlichen Porträts gefragt. 1961 heiratete sie den Maler Gunther Radloff, nach der Geburt des dritten Kindes zog sie 1966 mit ihm nach Feldafing. Erst Mitte der Siebziger fing sie wieder an zu fotografieren, unter anderem porträtierte sie nun Künstler, die als Stipendiaten in der Villa Waldberta in Feldafing wohnten.

Es sind die frühen Porträtfotografien aus den Jahren 1958 bis 1962, auf die sich Westphals Untersuchung konzentriert. Er versucht, eine fotografische Methode aufzuzeigen, mit der Barbara Niggl Radloff ihre Porträts in einer ganz besonderen Mischung aus Nähe und Distanz schuf. Kennzeichnend für ihr Vorgehen sei die Suche nach der "inneren Verfasstheit" eines Menschen, schreibt er. Barbara Niggl Radloff selbst sagte einmal, sie fotografiere Prominente so, als seien sie unbekannt, und Unbekannte so, als seien sie bekannt.

So gelang es ihr, die strenge Hannah Ahrendt zum Lachen zu bringen. Es gelangen ihr geradezu anrührend persönliche Fotos des jungen Günter Grass in Paris. Tilly Wedekind bat sie in ihr Wohnzimmer, Hans Platschek ließ sich beim Malen und beim Lesen auf dem Bett fotografieren. Mit Asger Jorn spazierte sie über Kohlehalden im Münchner Norden und mit Heinrich Böll durch die Ruinen beim Hofbräuhaus. Und so entstand wohl das, was sie selbst für einen Ausstellungstitel einmal als "Vertrauliche Distanz" zusammenfasste.

Eine Auswahl der Porträtaufnahmen ist bei den "Offenen Ateliers" an diesem Wochenende im ehemaligen Atelier ihres Mannes an der Rat-Jung-Straße 22a in Feldafing zu sehen. Samstag und Sonntag jeweils von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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