Ausstellung :Bilder der Erinnerung

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Mit autobiografischem Hintergrund: Toni Wirthmüller kombiniert in "mind maps" ein Erinnerungsfoto mit Abdrücken von Zahnrädern. (Foto: Nila Thiel)

Toni Wirthmüller zeigt seine Gemälde, in denen Songtexte aus seiner Jugend, Gedichte und Familienfotos verarbeitet sind

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Tutzing

Blau. Das Bild ist ein einziges blaues Farbfeld. Das warm leuchtende Ultramarin zieht den Blick magisch an. Bei näherer Betrachtung besteht das Bild nicht nur aus Farbe und Leinwand. Es sind Putzlappen, Geschirrtücher und andere Textilien aus dem Haushalt, die Toni Wirthmüller mit der Nähmaschine zu einer Stoffcollage zusammenfügt und als Leinwand auf einen Rahmen spannt. Eventuelle Verwerfungen bügelt er glatt oder arbeitet sie als Reliefs mit ein. Das erzeugt eine dreidimensionale Räumlichkeit von großer Tiefe. In der Galerie Am Rathaus von Anne Benzenberg in Tutzing sind noch bis zum Samstag Wirthmüllers Werke aus den vergangenen zehn Jahren zu sehen.

Der in München geborene und in Odelzhausen aufgewachsene Wirthmüller definiert sich als Künstler immer wieder neu. Stillstand findet er langweilig. Daher geben nicht nur unterschiedliche Stoffe seinen Bildern Struktur, er verarbeitet auch Familienfotos, Songtexte und Gedichte. Es geht dabei weniger um den Textinhalt, sondern um die grafische Struktur der meist schwarzen Schrift, die der Künstler großzügig über blauem Grund anbringt.

Für Wirthmüller, der seit den 1990er-Jahren Lehraufträge in Berlin und Weimar hat, haben diese Werke besondere Bedeutung. Bei den Texten handelt es sich meist um englische Songs aus seiner Jugend. Manchmal ist es nur ein Satz, der in der großzügigen Handschrift des Künstlers ständig wiederholt wird. Auch die Kindheit und Jugend in einer Mühle mit Landwirtschaft, die seit Generationen im Familienbesitz ist und derzeit von seinem Bruder betrieben wird, hat Wirthmüller stark beeinflusst. Bilder, auf denen alte Familienfotos oder Kinderzeichnungen im Siebdruckverfahren auf die Leinwand projiziert und mit Reifen- oder Zahnradabdrücken von landwirtschaftlichen Maschinen kombiniert werden, haben meist autobiografischen Hintergrund. Hin und wieder taucht ein Spielzeug-Affe auf. Es ist ein heiß geliebtes Stofftier aus der Kindheit des Künstlers.

Wirthmüller betrachtet den Affen als sein "Alter Ego", der neugierig ist, verspielt und manchmal auch frech, so wie der Künstler sich selbst sieht. Auch wenn Wirthmüller seit seinem Studium in Berlin lebt, bedeuten diese Bilder für ihn Heimat. Ansichten vom Ammersee oder Starnberger See, beispielsweise ein Foto aus der Jahrhundertwende mit seinen Ahnen in einem Boot, beschwören Erinnerungen, Erlebnisse und Gedanken herauf, die er in seinen Werken verarbeitet. Es sind emotionsgeladene Bilder, denen der Künstler eine abstrakte, gegenstandslose Malerei gegenüberstellt. Wirthmüller verwendet leuchtende Acrylfarben, denn sie trocknen schnell - und er ist ungeduldig. Neben Blauschattierungen herrschen Neonfarben vor, kombiniert mit Schwarz. Die Farben sind harmonisch und optimistisch, manchmal auch verhalten, aber nie düster.

Der Boden seines Ateliers in Berlin ist immer voll; denn meist arbeitet Wirthmüller an mehreren Bildern gleichzeitig. Manchmal geht er auch radikal mit seinen Werken um, schneidet Teile aus früheren Bildern mit dem Cutter-Messer ab und setzt sie patchwork-artig wieder neu zusammen, um damit Schönheit und Hässlichkeit, Auflösung und Verwundbarkeit darzustellen.

Die Ausstellung ist bis zum 11. November in der Galerie am Rathaus Tutzing zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10 bis 12 und 15 bis 18 Uhr, samstags 10 bis 13 Uhr.

© SZ vom 07.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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