Andechs:Seltene Farbtupfer auf dem Acker

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Ralf Rauber informiert die Zuhörer in Andechs über die Besonderheiten der einzelnen Ackerwildkräuter. (Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Besucher erfahren bei Wildkräuterwanderung viel über die vom Aussterben bedrohten Pflanzen

Von Patrizia Steipe, Andechs

An den Rändern und vereinzelt inmitten der noch grünen Kornfelder bildeten die roten Mohn- und blauen Kornblumen bunte Farbtupfer. Im Hintergrund ragte der Heilige Berg Andechs, darüber dräuten gewaltige Gewitterwolken. Doch für die postkartenmäßige Aussicht hatte Ralf Rauber keine Augen. Sein Blick war auf den Boden gerichtet. Immer wieder bückte sich der Ackerwildkräuterexperte des Bunds Naturschutz (BN) und fügte eine weitere Pflanze seinem kleinen Strauß hinzu. Der BN hatte zu einer Führung zu den Ackerwildkräutern in Erling eingeladen. Etwa 300 unterschiedliche Ackerwildkrautarten wären auf unseren heimischen Feldern zu finden, erklärte Rauber. Theoretisch, denn ein Drittel davon ist vom Aussterben bedroht oder vielleicht sogar schon ausgestorben. "Typisch sind Frauenspiegel, Nachtlichtnelke, Ackerröte, Gezähnter Feldsalat oder Feldrittersporn", zählte Rauber auf und erklärte den Teilnehmern, wie sie die oftmals unscheinbaren zarten Pflanzen unterscheiden können.

Schuld an dem Artensterben sei die Intensivierung der Landwirtschaft. Um den Ernteertrag nicht zu gefährden, werden die vermeintlichen "Unkräuter" mit Herbiziden vernichtet. Dann würden auch so harmlose Kräuter wie die Ackerröte oder das Ackerstiefmütterchen mit seinen filigranen bläulichen Blüten absterben. "Das stört im Acker nicht, denn es wächst nicht hoch", so Rauber und reichte die zarte Pflanze herum.

Bei der Führung kam die Gruppe an biologisch bewirtschafteten Feldern vorbei, in denen Wildkräuter bis zu einem gewissen Grad geduldet werden. Schließlich bilden sie die Nahrungsgrundlage vieler Insekten und von diesen ernähren sich wiederum viele Vogelarten. Trotzdem dürfen die Kräuter auch beim Bioanbau nicht ungehindert wuchern, der Ernteertrag müsse stimmen. "Wenn es zu viele sind, werden die Kräuter zu Konkurrenten der Nutzpflanzen und die Schadwirkung ist größer als der Nutzen", klärte Rauber auf. Dann müsse auch der Biobauer eingreifen, denn auch er möchte seine Ernte nicht verdorben sehen.

"Hier passt das Verhältnis", lobte Rauber ein Feld in dem vereinzelt Kräuter zwischen den tausenden von Ähren zu sehen waren. Ein paar Meter weiter bot sich der Gruppe ein ganz anderer Anblick. "Oha, hier ist wohl was außer Kontrolle geraten" rief Rauber angesichts eines Feldes, in dem die Kornblumen deutlich überhand genommen haben. Für Spaziergänger ist dieses Feld zwar ein hübscher Anblick, doch diese Kräuter würden so wie auch die Quecke und der Flughafer dem trockenen Korn bei der Ernte zuviel Feuchtigkeit geben, was zu Ernteverlusten führt. Am liebsten wäre eine Teilnehmerin gleich zum Blumenpflücken ins Feld gelaufen. Als Kind habe sie sich mit selbstgepflückten Kornblumensträußen das Taschengeld aufgebessert.

Auch wenn die Ackerkräuter für die Artenvielfalt wichtig sind, auf manche Arten würden die Landwirte gerne verzichten. Zum Beispiel auf die Ackerkratzdistel. Wegen ihrer waagrecht wachsende Wurzeln wird diese Pflanze durch das Pflügen über das ganze Feld verteilt. Auch die Ackerwinde ist ein Problem. "Sie hängt sich an die Halme und zieht sie runter", wusste Rauber.

Statt Gift zu versprühen, greifen Biobauern auf altbewährte Methoden wie das mechanische "eggen, grubbern und striegeln" zurück. Auch mit der geeigneten Fruchtfolge können Schadgräser zurückgedrängt werden.

An diesem Tag steht aber die Faszination über die geschmähten "Unkräuter" im Vordergrund. Rauber zog ein klebriges Klettlabkraut aus dem Boden. "Es ist mit Waldmeister verwandt", klärte er auf. Er wies auf das Gänsefingerkraut am Feldrand und auf die hoch aufgeschossene geruchlose Kamille. Die Echte Kamille, die auch für Tee verwendet werde, habe den typischen Kamillenduft und wachse nur niedrig. Daneben stand Beinwell mit leuchtend lilafarbenen Blüten. Er wird ebenfalls in der Heilkunde verwendet. Am Schluss entdeckte Rauber noch ein Ackerhellerkraut. Fast wie an einem Schellenbaum hängen am Halm dieser Pflanze dutzende von runden Samen. Da das Ackerhellerkraut ganzjährig keimt, kann es häufig nach dem Einsatz von Pflanzengiften später trotzdem noch wachsen.

Diese Kultupflanzenbegleiter sind Nahrung und Kinderstube für eine Vielzahl von ganz spezialisierten Insekten, die sich seit Jahrtausenden zusammen mit der Ackerbegleitflora an Kulturpflanzenbestände angepasst haben. Nur durch eine extensive Bewirtschaftung der Äcker mit einem weiten Reihenabstand und ohne Anwendung von Spritzmitteln/Herbiziden lassen sich diese Wildkräuter wieder fördern.

Der weite Reihenabstand ist auch für Bodenbrüter wie die Feldlerche und Rebhuhn von Vorteil, die zwischen den Halmen brüten können. Die blühenden Wildkräuter bieten den spezialisierten Insekten Nahrung, die wiederum als Nahrung für die Vögel dienen.

© SZ vom 29.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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