Sightseeing:Mit Gertis Geheimtipps München entdecken

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Ein Graffito des Künstlers „Won ABC“ in Obergiesing liegt auf der Tour des Bullis. (Foto: Corinna Guthknecht)

Eine neue Tour im VW-Bus verspricht, an eher unbekannte Orte zu führen - da kommen sogar die Münchner zur Stadtrundfahrt.

Von Janina Ventker

Gerti ist eine Schönheit. 35 Jahre alt, roter Lack, braune Ledersitze, Dieselmotor, 30 PS. Gerti ist ein T-3-Bulli, also einer jener begehrten VW-Busse, mit denen man wunderbar um die Welt tingeln kann. Gerti jedoch verlässt niemals München. Seit zwei Jahren steht sie im Dienst der "HeyMinga"-Touren und braust täglich durch die Stadt. So ungewöhnlich wie das Gefährt ist auch das Konzept der alternativen Stadttouren: Gerti fährt dorthin, wo kein Touristen-Doppeldeckerbus je war - so das Versprechen.

Donnerstagmittag, Werksviertel am Ostbahnhof: Gerti parkt vor bunten Containern, hinterm Steuer hat Oliver Rothstein Platz genommen, 34, Zebra-Hemd, Einhorn-Cap, roter Vollbart, Geschäftsführer des digitalen Stadt-Magazins Geheimtipp München. Zusammen mit Andreas Scherbel, 27, hat er die neue Geheimtipp-Tour erdacht, die am 13. April zum ersten Mal starten wird. An diesem Donnerstag steht nun quasi die Generalprobe an.

Mit einem VW Bulli von 1985 fahren Andreas Scherbel, Oliver Rothstein und Thomas Tomski (von links) vor allem Münchner durch ihre eigene Stadt zu ungewöhnlichen Sehenswürdigkeiten. (Foto: Corinna Guthknecht)

Rothstein dreht den Zündschlüssel um - und es passiert erst mal nichts. Gerti stottert und ruckelt. Die alte Dame ist halt auch ein wenig eine Diva, die man sanft anfassen muss. Rothstein atmet einmal tief durch und startet einen zweiten Versuch. Gerti rattert los. Erstes Ziel: Obergiesing, das ehemalige Arbeiterviertel und "das linkste Viertel der Stadt", wie Rothstein es nennt.

Gerti passiert den Ostfriedhof. Und Rothstein kann das erste Mal sein Angeberwissen auspacken: Dass hier Rudolph Moshammer begraben liegt, in einem Mausoleum "so exzentrisch wie Mosi selbst". Auch seine treue Begleiterin, Yorkshire-Terrier-Dame Daisy, hat hier ihre letzte Ruhe gefunden. Ein Tier auf einem Friedhof für Menschen - eine absolute Ausnahme in Deutschland.

Rothstein erzählt, dass es vor allem Münchner seien, die die Stadttouren von HeyMinga buchen. "Jeder hat seine Vorurteile über die Stadt, egal, ob er sie liebt oder nicht." Diese Vorurteile ein wenig zu widerlegen, das sei das Ziel. Und auch zu zeigen, wie sehr sich die Viertel der Stadt wandeln. Obergiesing sei da gleich das beste Beispiel. Rothschild lenkt Gerti durch die Zugspitzstraße, linker Hand deutet er auf die Bumsvoll Bar, eine "Hipster-Boazn", wie er sie nennt. Nur wenige Meter weiter das Lokal Attentat Griechischer Salat, wo Grünzeug mit Süßkartoffeln und Avocado serviert wird. "Solche coolen Läden gab es hier vor wenigen Jahren noch nicht." In derselben Straße entdeckt man die eine oder andere frisch sanierte Fassade. Ins Auge sticht Hausnummer 6, ein weißer Altbau. Hier wohnte einst ein kleiner Bub, dessen Karriere auf dem Fußballplatz direkt gegenüber ihren Anfang nehmen sollte. "Das ist die Brutstätte des Kaisers", kommentiert Rothstein - das Haus, in dem Franz Beckenbauer aufgewachsen ist.

Weiter geht es durch die idyllische Feldmüller-Siedlung, in der sich hübsche bunte Handwerkerhäuschen aneinanderreihen, die wenigen verbliebenen der Stadt. An der Oberen Grasstraße 1 hält Gerti kurz an. Eine Baulücke klafft zwischen den Häusern. Das Grundstück ist abgesperrt, doch hinter dem Bauzaun hat jemand ein Grabkreuz errichtet, Aufschrift "Unvergessen". Hier stand bis September 2017 das mittlerweile stadtbekannte Uhrmacherhäusl, dessen illegaler Abriss wochenlang für Schlagzeilen sorgte. Einige Giesinger halten hier bis heute Mahnwachen ab. Rothstein sagt: "Sie leisten bis heute Widerstand."

Zeit für eine Pause. Die Gäste kehren beim Giesinger Bräu ein, das oben auf dem Giesinger Berg thront, mit Blick auf die Heilig-Kreuz-Kirche, die wiederum das Logo der Brauerei ziert. Nur an vier Tagen müssen die Tourguides diesen Zwischenstopp auslassen - an den Wochenenden, an denen die Löwen im nur wenige Meter entfernten Grünwalder Stadion spielen. "Denn dann ist hier oben die Hölle los", sagt Rothstein und lacht.

Es geht weiter nach Untergiesing, an einen Ort, der wohl tatsächlich als Geheimtipp gelten darf: In der Birkenleiten, am Auer Mühlbach gelegen, ragt ein 67 Meter hoher Zwiebelturm in die Höhe. Eine Kirche, könnte man meinen, aber es ist: das Archiconvent der Templer, oft auch nur Templer-Kloster genannt. Die Ordensgemeinschaft erwarb den skurrilen Bau Ende der Sechziger. Die Nonnen und Mönche leben recht zurückgezogen und nach strengen Regeln. Doch täglich um 13 Uhr bildet sich eine Schlange vor dem Gebäude - arme Menschen bekommen hier eine Gratis-Mahlzeit.

Später wird Gerti noch durch Sendling zuckeln, vorbei an der Großmarkthalle, am Tierpark, hin zum Stemmerhof. Und dann hat die Schönheit wieder Pause.

© SZ vom 29.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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