Stadt am Rand:Ein Husarenritt zu den fünf Sälen

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Am Donnerstagabend wird das neue Kino am Gautinger Bahnhof eröffnet. Betreiber Matthias Helwig hat drei Millionen Euro in den Bau investiert und will Besucher aus dem Würmtal und aus München anlocken

Von Gerhard Summer, Gauting

Wer im Münchner Westen oder im Würmtal wohnt, darf sich für den nächsten Kinobesuch eine neue Adresse notieren: das Arthouse-Center am Gautinger Bahnhof. An diesem Donnerstag öffnet nach einer eher abenteuerlichen, zweieinhalbjährigen Bauzeit der drei Millionen Euro teure Kino-Komplex, ein im schlichten Industriestil gehaltener, moderner Bau mit fünf Sälen auf drei Ebenen und 388 Sitzplätzen.

Für Matthias Helwig, 56 Jahre alt, war der Film stets sein Lebenstraum. Aber wenn ihn jemand vor 30 Jahren gefragt hätte, ob er Kinobesitzer werden wollte, hätte er nur verwundert, vielleicht sogar ein wenig entrüstet den Kopf geschüttelt. Nun ist Matthias Helwig sogar Eigentümer eines Lichtspielhauses und will mit 6000 Vorstellungen im Jahr etwa 80 000 Besucher aus dem ganzen Würmtal anlocken.

Was das Konzept betrifft, setzt Helwig auf die heutzutage gewünschte Vielfalt: eine Mischung, die das Bildungsbürgertum anspricht, aber auch den Massengeschmack bedient, ohne gleich auf ein Programm zu schielen, wie es das Mathäser in München oder das Cineplex in Germering bieten. Denn "das kann ich gar nicht machen, ich bin immer erstaunt, welche Filme es gibt, die ich gar nicht kenne".

Seine Kino-Karriere hat Helwig 1986 in Gilching begonnen, dort gründete er das erste Breitwand-Kino. Untergebracht war es just in dem Gebäude, in dem schon 1928 ein Kino im Ort startete. 1999 wurden Gebäude und Kino erweitert, heute laufen in der "Filmstation" die Filme in zwei Sälen, darunter auch Live-Übertragungen von Opernaufführungen (am 17. Oktober zum Beispiel "Cosi fan Tutte" aus London). 2002 eröffnete Helwig auch ein Kino in Starnberg mit zwei großen Sälen, die seit 2006 auch Schauplatz des Fünfseen-Filmfestivals sind. Größtes Kino in der Umgebung ist und bleibt das Cineplex in Germering. Seit Ende Juli 2015 präsentiert Michael Riedlberger hier in sieben Sälen sein Programm, zu 100 Prozent Blockbuster, wie er selber sagt. Das kleinste Kino weit und breit ist das Filmeck in Gräfelfing, mit 86 Plätzen und einem Saal im Bürgerhaus, betrieben vom Enthusiasten Werner Scholz.

Marilyn schaut zu: Betreiber Matthias Helwig (re.) und Architekt Nicolai Baehr bei den letzten Vorbereitungen. (Foto: Nila Thiel)

In diese Landschaft setzt Matthias Helwig nun sein Gautinger Lichtspielhaus. Er wird zum Bundesstart "Inferno" mit Tom Hanks genauso wie Dani Levys "Die Welt der Wunderlichs" und das Roadmovie "American Honey" zeigen, aber nicht die vierte Fortsetzung einer amerikanischen Produktion, die sich schon mühsam über den ersten Teil schleppte. Es werden Arthouse- genauso wie Kinderfilme zu sehen sein, es gibt Vorstellungen für Senioren, den Wunschfilm des Monats und Tangoabende. Und Helwigs Kinder- und Jugendfilmfest spielt heuer zum großen Teil in Gauting (von 15. bis 20. November). Der Erfinder des Fünfseen-Filmfestivals peilt darüber hinaus die Kooperation mit dem Kulturhaus Bosco, mit dem Umweltzentrum, der Volkshochschule und den Büchereien des Orts an.

Helwig war am Mittwoch bei einem Pressegespräch anzumerken, dass eine Last von seinen Schultern genommen ist: Er sei heute mit dem Gefühl der Erleichterung aufgewacht, sagte er, denn nun sei die Zeit vorbei, da er sich um die Baustelle kümmern müsse, eine auch finanziell problematische Phase: "Man zahlt und zahlt und zahlt, nimmt aber kein Geld ein." Es sei wichtig gewesen, den Eröffnungstermin festzulegen, und wenn er noch so sportlich gewesen sei, um endlich zu einem Ende zu kommen. Die Baugenehmigung zu erhalten, sei ein "Husarenritt" gewesen.

Die Eintrittspreise stehen bereits fest. (Foto: Nila Thiel)

Für die Innenausstattung des Kinos mit schlicht olivgrauer Fassade zeichnet Helwig verantwortlich. Er entschied sich für ein puristisches Design: Rauer Beton kontrastiert mit anthrazitfarbenen Flächen, weinroten Wänden und unverblendeten Lüftungsrohren. Die Lampen sind schwarz-golden, die Kinogänger werden auf Industrie-Eichenparkett laufen und auf große Schwarz-Weiß-Fotos aus Filmen wie Chaplins "City Lights", "Manche mögen's heiß" oder "Manhattan" schauen.

Die über drei Etagen führende Treppe mit 37 Stufen und Blick auf Bäckerei und Bank soll der "Kommunikationsort" des Hauses werden. Und wer vor oder nach der Vorstellung Hunger oder Durst verspürt, kann sich im hauseigenen Restaurant niederlassen. Ralf Mansour-Agather, Organisator der Französischen Woche in Starnberg, Weingroßhändler und Helwigs langjähriger Caterer, und Katherina Wrase führen das Lokal. Sie setzen auf eine Küche, die "das Beste aus den Ländern rund um das Mittelmeer vereint", und auf extravagantes Interieur. Die Lampen stammen aus senegalesischem Umcycling, die Möbel mit Feng-Shui-Maßen kommen aus Indonesien.

Langsam wird es ernst: Die Getränkelieferung ist schon angekommen. (Foto: Nila Thiel)

Die Lounge des neuen Kinos dürfte nicht das Kernstück des Hauses sein, aber der auf einer Wand geschriebene Schlusssatz aus Woody Allens "Manhattan" ist womöglich so etwas wie ein Leitsatz für den Bauherrn gewesen. Als der Gagschreiber Isaac also die blutjunge Tracy fragte, warum sie denn wegziehe, obwohl er sich für sie entschieden habe, sagte seine Freundin: "Du musst ein bisschen Vertrauen haben in die Menschen."

Helwig ließ dazu passenderweise die Baugeschichte des Kinos, die Probleme mit dem Schallschutz und die vielen Verzögerungen Revue passieren und erwähnte, dass er ein Haus der Familie verkaufen musste, weil die Kosten von zwei auf drei Millionen Euro stiegen. Für ihn sei das Projekt ein "Sprung ins kalte Wasser", schließlich könne er nicht mit Gewissheit sagen, ob am Donnerstag fünf oder 100 Kinogänger kommen. "Du stehst wie vor einer diffusen Nebelbank in den Bergen." Aber womöglich hat Tracy ja Recht.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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