Sprachkompetenz:Happy mit Hippy

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Seit 20 Jahren bietet die Stadt München frühkindliche Förderung für Einwanderer an. Das erfolgreiche Projekt hilft beim Erlernen der Sprache und der Kultur

Von Sabine Buchwald

An diesem Dienstagvormittag müssen noch Stühle aus dem Nachbarzimmer geholt werden, damit alle einen Platz finden um den großen Tisch. Die Frauen sitzen dicht an dicht. Sie kommen aus Kirgistan, aus Griechenland, Marokko, Serbien, Afghanistan und anderen fernen Ländern. Manche tragen ein Kopftuch. Eine Frau aus Mali ist bis zu den Zehen in fließenden blauen Stoff gehüllt. Ihr Sohn möchte lieber Krabbeln, als ruhig bei ihr auf dem Schoß zu sitzen, doch sie hält ihn beharrlich fest. Unauffällig gibt eine andere Mutter ihrem Baby die Brust. In dieser Frauenrunde, die sich in den Räumen des Stadtjugendamts in der Nähe des Hauptbahnhofs trifft, sticht ein Mann heraus. Eigentlich wären alle Väter eingeladen, aber es ist zehn Uhr und die Männer der Frauen müssen wohl arbeiten. Einige der Teilnehmerinnen wollen ohnehin lieber alleine zu diesen Gruppentreffen kommen. Es ist ihre Auszeit vom Haushalt und ein fester Termin alle zwei Wochen in ihrem Münchner Alltag.

Gürbüz wird als Mann von allen Anwesenden akzeptiert. Er ist kein junger Papa mehr, stammt aus der Türkei und spricht nur ein paar Brocken Deutsch. Gleich mehrere eilfertige Übersetzerinnen geben wieder, was er sagt: Durch Hippy habe er einen anderen Dialog mit seiner Tochter gefunden. Das finde er toll. Er scheint ein Mann zu sein, der seine späte Vaterschaft sehr bewusst erlebt. Auch Kadija aus Marokko sagt, dass sie die Hippy-Zeit mit ihren Kindern genieße. Sie bekennt: "Meine Kinder sind das beste Geschenk, das ich je bekommen habe." Sie habe entdeckt, sagt sie, wie sehr es ihr Spaß mache, mit ihnen an den verschiedenen Materialien zu arbeiten. Sie spricht perfekt deutsch und braucht keine Übersetzung.

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Für Daniela Hirschauer-Kiehl sind solche Sätze eine Bestätigung ihrer Arbeit. Sie ist Sozialpädagogin und hat 2006 als eine der Koordinatorin des Hippy-Programms in München begonnen. Inzwischen leitet sie die Fachstelle Frühe Förderung des Stadtjugendamts, betreut die städtischen Kontaktstellen, die sich um frühkindliche Förderung kümmern und alles, was Hippy betrifft. Der etwas irreführende Begriff steht für "Home Interaction for Parents of Preschool Youngsters". Er stammt zwar aus den Sechzigerjahren, hat aber nicht direkt etwas mit den Blumenkindern dieser Zeit zu tun. Hippy ist ein Förderprogramm für Vorschulkinder und Eltern, die keine einheimischen Wurzeln haben. Entwickelt wurde es ehedem mit einem akademischen Forschungsansatz an der Hebrew Universität in Jerusalem speziell für Einwandererfamilien, um Kindern wie Eltern den Start in die Schule zu erleichtern. Dabei geht es mit gezielter Hilfe darum, das Text- und Zahlenverständnis in der Unterrichtssprache zu verbessern. Aber auch so einfache Fähigkeiten, wie das Schneiden mit einer Schere oder das Handhaben von Stiften wird spielerisch geübt.

Von den Achtzigerjahren an verbreitete sich Hippy als lizenziertes Programm über die enge israelische Grenze hinaus und wird seitdem in etlichen Ländern angewandt. Zehn sind es derzeit insgesamt - neben Deutschland unter anderem auch Argentinien, USA, Kanada, Neuseeland und Österreich. In der Türkei, in Dänemark, den Niederlanden und Finnland dient Hippy als Vorbild für ähnliche Fördermaßnahmen. Aktuell wird in Deutschland an 35 Standorten mit dem Programm gearbeitet, die Zentrale ist in Bremen. Es soll vorgekommen sein, dass Teilnehmer dessen Ursprung irritierend fanden. Wenn es aber ein Jubiläum zu feiern gibt, dann muss man auf die Geschichte verweisen. Hippy startete vor 50 Jahren in Israel und fand vor genau 20 Jahren erfolgreich seinen Weg nach München. 1998 begann das Stadtjugendamt mit 20 Familien, der Sozialpädagogin Beate Wiedmann in Teilzeit und einer sogenannten Hausbesucherin. Heute gibt es 240 Plätze, die Familien kommen aus mehr als 40 Nationen und Wiedmann ist immer noch dabei. Sie ist eine der vier Koordinatorinnen, die sich um die 13 Trainerinnen, die Hausbesuche machen, kümmern und anleiten. Der Bedarf ist viel größer. 168 Namen stehen derzeit auf der Warteliste. Die Teilnehmer zahlen 80 Euro im Jahr selbst. Die Gesamtkosten für Verwaltung, Personal und Material pro Platz und Jahr belaufen sich auf etwa 1800 Euro. Sie werden von der Stadt getragen.

Wer das Hippy-Programm schafft, beweist Durchhaltevermögen

Seit drei Jahren arbeitet man nicht mehr mit den ursprünglichen Materialien. Im Auftrag der Stiftung Impuls Deutschland hat der Beltz & Gelberg-Verlag neue Bücher und dazugehörige Arbeitshefte herausgebracht. Die meisten sind sehr bunt und wirken sehr deutsch. Wolf Erlbruch, Philipp Waechter, Jutta Bauer und andere bekannte Illustratoren zeichnen ein farbiges Bild einheimischer Familien mit Stillgruppen, aufmüpfigen Kindern, freundlichen Bären und melancholischen Zebras, die Heimweh haben, als Protagonisten. In den Büchern geht es neben Spracharbeit um die Vermittlung kultureller, das heißt deutscher Gepflogenheiten wie Pünktlichkeit oder auch stereotyper Familienkonstellationen.

Wer das Hippy-Programm schafft, beweist Durchhaltevermögen. Es ist auf zwei Jahre angelegt. Die Eltern sollen täglich 15 bis 20 Minuten mit ihrem Kind üben. Alle zwei Wochen kommt eine Elterntrainerin nach Hause, die sich in der Sprache der Familie ausdrücken kann und den Eltern - eben meist der Mutter - das jeweilige Buch, Arbeitsheft und Material erklärt. Im Wechsel gibt es alle zwei Wochen ein Gruppentreffen in verschiedenen Stadtteilen. Eingangs wird in der Regel ein allgemeines Thema behandelt. Mal gehe es um die bevorstehende Einschulung, mal um das richtige Verhalten im Straßenverkehr, mal um sehr ernste Bereiche wie sexuelle Gewalt, sagt Hirschauer-Kiehl. "Vor allem aber sollen die Eltern unser Bildungssystem kennenlernen." In manchen Ländern sei es eher ungewöhnlich, dass Eltern ihre Kinder in der Schule unterstützten. Mit Hippy übernehmen sie Verantwortung für die Ausbildung ihrer Kinder - und lernen selbst eine Menge.

Bei jenem Treffen am Dienstag geht es in kleinen Gruppen um ein Buch mit Gespenstern. "Glaubt jemand daran?", fragt die Elterntrainerin. Sie erntet Gelächter und Kopfnicken. Dann geht es neben anderem um den Unterschied zwischen den Verben "spuken" und "spucken" und wie man aus einem Taschentuch und einem kleinen Ball ein Gespenst basteln kann. Zuvor, als man noch im Plenum zusammensaß, lagen zahlreiche Gegenstände auf dem Tisch. Jeder sollte sich einen nehmen, der symbolisch für die eigene Erfahrung mit Hippy steht. Khalida hat ein Döschen in Herzform in der Hand. Sie habe das Herz gewählt, sagt sie, weil sie hier viele Frauen kennenlerne und so gute Tipps bekomme, was man mit Kindern machen könne.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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