Zwei Sportarten unter einem Dach:Verabredung zur Symbiose

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Im Münchner Norden soll ein Zentrum für Tischtennis und Hockey entstehen, als Gemeinschaftsprojekt zweier Verbände, das viele Probleme lösen würde.

Von Andreas Liebmann

Die Bagger werden anrollen, zwangsläufig und unaufhaltsam. Die Frage ist nur, wie lange es dauert bis zu diesem Moment; und ob sie dann nur geschickt werden, um endgültig etwas plattzumachen, was seit Jahren trostlos im Weg herumsteht und verrottet; oder um etwas einzuleiten, das Carsten Matthias als "Win-Win-Win-Win-Situation" anpreist und für das der Geschäftsführer des Bayerischen Tischtennis-Verbands (BTTV) am Gründonnerstag stolz einen fast 100-seitigen Förderantrag im Bayerischen Staatsministerium des Inneren, für Sport und Integration abgegeben hat. Es geht darin um die geplante Errichtung eines Hockey- und Tischtenniszentrums im Münchner Norden, ein gemeinsames Großprojekt zweier Sportverbände auf dem Vereinsgelände des Münchner Sport-Clubs.

Dort, an der Eberwurzstraße, steht die alte Hans-Fleitmann-Halle, eingebettet in Tennis- und Hockeyplätze, und selbst die strahlendste Frühlingssonne kann die Zeichen ihres Verfalls nicht kaschieren. Seit 14 Jahren steht sie leer, seit im Jahr 2006 beim Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall 15 Menschen ums Leben kamen und in der Folge alle vergleichbaren Bauten auf ihre Statik hin überprüft wurden. Bei der Leimbinderkonstruktion in München wurden Fehler in der Ausführung bemerkt. Drinnen liegt heute Bauschutt herum, der alte Hallenboden ist voller Dreck und schwarzer Flecken, das Betreten ist strikt verboten. In der Decke steckt Asbest. Allmählich verformt sich das Holzskelett des Bauwerks aus den frühen Achtzigern, "nicht tragende Wände kommen uns entgegen", erzählt Michael Nahr, der MSC-Vorsitzende. "Ich will nichts dramatisieren, es kann auch sein, dass das Bauwerk noch zehn Jahre durchhält. Es ist aber auch möglich, dass es in einem halben Jahr implodiert. Ich mache mir wirklich Sorgen." Nahr, muss man wissen, hat durchaus Ahnung von der Materie, er ist Architekt.

Bilder des Verfalls: Seit 2006 darf die Hans-Fleitmann-Halle auf dem Gelände des Münchner Sport-Clubs nicht mehr genutzt werden. (Foto: Catherina Hess)

Hier also soll nach Carsten Matthias' Vorstellung bald eine neue Halle errichtet werden, ähnlich groß wie die alte; eine, die viele Probleme auf einen Schlag lösen würde.

Der Status quo ist ja nahezu absurd. Überall in München fehlen Hallenzeiten, für Schul- und Vereins-, für Leistungs- und Breitensport, Bauplätze sind teuer und begehrt - und hier steht also eine Hallenruine herum, mit vorhandener Infrastruktur, genügend Parkplätzen, mit vorhandenem Baurecht für eine Sportstätte, um die herum die MSC-Teams ihre Bundesliga-Hockeyspiele austragen. Vor Kurzem ist hier ein nagelneuer Kunstrasenplatz entstanden. Nur im Winter, für die Hallenrunde, da müssen auch die MSC-Bundesligateams seit Jahren in die Allacher Halle ausweichen. Dort nehmen sie also wieder anderen die Hallenzeiten weg, "was auch nicht im Sinne des Erfinders ist", so Nahr.

Es ist natürlich nicht so, dass niemand von der Ruine gewusst hätte, ehe Carsten Matthias vom Tischtennis-Verband mit seiner Idee um die Ecke bog, ganz im Gegenteil. "Mich verfolgt das Thema seit acht Jahren", sagt Nahr, und die Planungen, dort anstelle der bisherigen Halle ein Hockey-Leistungszentrum zu errichten, sind sogar noch älter. Sie entstanden schon kurz nach der Schließung. Erst habe sich der Verein in die Planungen eines Neubaus mit der Stadt eingebracht, 20 000 Euro investiert, dann habe sich diese mit dem Bayerischen Hockey-Verband (BHV) um das Vorhaben gekümmert, Förderungen beantragt, Architekten beauftragt. "Zehn Jahre haben wir auf dieses Projekt vertraut", erinnert sich Nahr. Bis der Stadtrat im Oktober 2016 alles platzen ließ. Die Zuschüsse von Bund und Land waren nicht so hoch ausgefallen wie erhofft, erklärt Nahr. Für die Stadt, in deren Sportbeirat er sitzt, wurden die Kosten zu hoch, zumal die Investitionen ja nur einer Sportart zugute kommen sollten.

Baustelle auch innen: die Hans-Fleitmann-Halle. (Foto: privat)

Den MSC und den Hockey-Verband traf das Ende unvorbereitet - und auch für den BTTV war der Stadtratsbeschluss damals eine fatale Wendung. Denn der hatte einen unterschriftsreifen Vertrag, der ihm als Untermieter die Nutzung eines Hallenteils im neuen Hockey-Leistungszentrum gesichert hätte, um dort bis 2020 seinen eigenen, aus Bad Aibling umquartierten Nachwuchs-Bundesstützpunkt unterzubringen. Als Übergangslösung, bis dafür ein eigenes Domizil gefunden wäre.

Beide Sportarten, Hockey wie Tischtennis, haben ja durchaus Gemeinsamkeiten. Beide stehen selten im Fokus der Öffentlichkeit, weshalb ihre Verbände kaum Einnahmen generieren. Aber alle vier Jahre fiebert man mit ihren Protagonisten bei Olympischen Spielen mit, von wo sie in beachtlicher Häufigkeit Medaillen heimbringen.

Auch die Situation des Tischtennis-Bundesstützpunkts war in den zurückliegenden vier Jahren einigermaßen absurd. Aus allen Ecken des Freistaats wurden die größten Talente nach München geholt, das Trainerteam um die siebenmalige Europameisterin Krisztina Toth leistet außerordentlich erfolgreiche Arbeit, Bayern stellt zahlreiche Jugend-Nationalspieler. Der BTTV kooperiert mit mehreren Schulen, darunter dem 2016 eröffneten Gymnasium München-Nord, einer Eliteschule des Sports. Dort aber gibt es keine Trainingsmöglichkeiten. Der Verband selbst besitzt keine Halle. Und so improvisiert die Kader-Gruppe seit Jahren vor sich hin, ist vormittags in einem Kellerraum des TSV Milbertshofen untergebracht, nachmittags schlüpft sie im täglichen Wechsel bei anderen Vereinen unter, SpVgg Thalkirchen, FC Bayern München, TuS Fürstenfeldbruck. "Eine ewige Bastelei", sagt Matthias. "Wir sind dankbar für das Entgegenkommen der Vereine, aber natürlich ist das eine Belastung für beide Seiten." Und ohnehin kein Dauerzustand, denn ohne die konkrete Aussicht auf eine eigene Halle dürfte das Leistungszentrum seinen Status als Bundesstützpunkt bald wieder verlieren. Die nächste Überprüfung wäre für 2020 vorgesehen.

Quirin Nahr ist eines von 25 Hockeytalenten in den Leistungssportklassen des Gymnasiums München-Nord. Wie der U-16-Nationalspieler haben sie alle die Perspektive, in die DHB-Teams zu stoßen. Als die Eliteschule des Sports eröffnete, setzte auch sie auf das geplante Leistungszentrum an der Eberwurzstraße, das dann nie kam. Nun werden die Schüler zum Teil per Taxi an diverse Münchner Trainingsorte gekarrt. Am BHV-Stützpunkt selbst trainieren Mädchen und Jungen in Auswahlteams von U12 bis U16. (Foto: privat)

Seit vier Jahren hat der BTTV-Geschäftsführer nach einer Lösung des Problems gesucht. Den ganzen Münchner Norden hat er durchforstet (denn die Nähe vom Stützpunkt zur Eliteschule ist erforderlich); speziell die Anlagen im Olympiapark, Eissporthalle, Stadion, das Gelände, auf dem nun die SAP-Arena für Eishockey und Basketball gebaut wird. Immer wieder hat er bei Politikern vorgesprochen, Spenden gesammelt. Was er erzählt, klingt fast wie eine Passage aus der Vereinschronik des 1896 gegründeten MSC. "Jedes grüne Fleckchen auf dem Stadtpark wurde auf seine Eignung geprüft", ist da zu lesen, "Hänschen nervte die Behörden monatelang, und siehe da, 1963 war es klar. Für den MSC wurden zwei Hockeyplätze und acht Tennisplätze auf dem Gelände südlich der bereits bestehenden Bezirkssportanlage in der Lerchenau fest eingeplant." So war das damals, als der Münchner Sport-Club seine alte Heimat an der Schwabinger Leopoldstraße verlassen musste und es nur der Beharrlichkeit des damaligen zweiten Vorsitzenden zu verdanken war, dass der Umzug auf das heutige Areal gelang. "Eine dramatische Situation war das", erklärt Nahr, "der Verein stand vor der Auflösung." Das hartnäckige Hänschen war jener Hans Fleitmann, nach dem später die inzwischen verfallende Halle benannt wurde.

Auch die alte Sportstätte war geteilt, in Tennis und Hockey; künftig soll sie eben in Tischtennis und Hockey unterteilt sein, dazu Kraft-, Seminar- und Büroräume. Nachdem der "Geistesblitz", wie Carsten Matthias das nun nennt, erst einmal eingeschlagen hatte, also die Idee, die ursprünglich zur befristeten Untermiete geknüpften Kontakte zwischen den Verbänden zur Bildung einer dauerhaften Partnerschaft zu nutzen, fügte sich vieles. "Es ist eine sehr elegante, symbiotische Lösung." Der Tischtennis-Bereich soll die Größe einer Zweifachhalle haben, mit Platz für bis zu 14 Tische, die dauerhaft auf Wettkampfboden stehen bleiben. Der Hockey-Teil würde die Dimension einer Dreifachhalle haben. Es soll Platz für bis zu 200 Zuschauer geben.

Mit Daniel Rinderer fing es an. Als 14-Jähriger zog das Toptalent des TV Ruhmannsfelden nach München, um am Tischtennis-Leistungszentrum zu trainieren. Mittlerweile werden hier elf hochbegabte Nachwuchsspieler aus ganz Bayern gefördert, im Herbst kommen vier weitere hinzu. Viele von ihnen wohnen im Haus der Athleten und besuchen das Gymnasium München-Nord. Rinderer ist aktuell die Nummer 80 der U-18-Weltrangliste und spielt inzwischen für den Drittligisten FC Bayern München. (Foto: Günther Reger)

Harry Schenavsky ist nun "sehr zuversichtlich" - aber das war der Präsident des BHV auch 2014 und 2016 schon. Der Groll über die Absage des Sportausschusses der Stadt ist ihm immer noch anzumerken. Durch Presseanfragen habe er damals vom Aus erfahren, niemand habe vorher mit ihm gesprochen oder ihn vorgewarnt, dass es da ein Problem gebe. Hockey ist nur im Freien olympisch, nicht in der Halle, deshalb waren die Zuschüsse von Bund und Land geringer ausgefallen als von der Stadt erhofft. "Hätte man mit uns gesprochen, man hätte vielleicht noch eine andere Lösung finden können", sagt er, "aber so wurde sehr viel Arbeit geleistet, die mit einem Federstrich kaputtgemacht wurde."

Man brauche diesen Stützpunkt, betont Schenavsky, andernfalls gäbe es im Süden unterhalb Mannheims gar nichts mehr, dabei habe München doch eine große Hockey-Tradition und habe es immer geschafft, in Deutschland mitzumischen, in der erfolgreichsten olympischen Ballsportart, obwohl die Strukturen im Westen und Norden ganz andere sind. "In Hamburg wird an über 200 Schulen Hockey gespielt", weiß er. Trotzdem gewann das Gymnasium München-Nord zuletzt das Bundesfinale des Schulwettbewerbs "Jugend trainiert für Olympia". "Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind", sagt Schenavsky. Doch auch hier: Die Eliteschüler haben am Gymnasium kaum Trainingsmöglichkeiten. Die Halle dort musste für Hockey nachgerüstet werden, als klar war, dass das Leistungszentrum nicht kommen würde, und im Freien nutzt der BHV die Vereinsplätze des MSC. Deshalb wird nun neben der Halle auch noch ein Kunstrasen für den Stützpunkt zu planen sein. "Uns fehlen Plätze", sagt Schenavsky. "Ein Stützpunkt ohne Plätze ist auf lange Sicht keine Lösung."

Die Baukosten für die Halle sind grob auf zehn bis zwölf Millionen Euro veranschlagt. Zusätzlich zu ihren Eigenleistungen würden die Verbände mit dem MSC gemeinsam den Betrieb über eine gemeinnützige GmbH sichern, ohne öffentlichen Kostenzuschuss. "Jetzt wird das Ganze von zwei Fachverbänden gefüllt", betont Schenavsky. Wenn nicht jetzt, wann dann, soll das wohl heißen. Sie hoffen auf Zustimmung. Die Signale aus der Stadt und vom Freistaat seien sehr positiv, erklärt Matthias, "alle erkennen die Notwendigkeit und den Nutzen". Eine Frage sei nun, wie sich die Bundesebene in der aktuellen Lage verhalte, da die Corona-Krise auch im Sport erheblichen Förderbedarf hervorruft.

"Alles bedingt sich gegenseitig", erklärt er. Das gilt für die Förderung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, wo entweder alle Instanzen mitzahlen oder gar keine; und es gilt auch für die Leistungszentren. Ohne Halle seien die Stützpunkte auf Dauer nicht zu halten, und ohne Stützpunkte werde es die Hallenlösung nicht geben.

In beiden Sportarten soll der Leistungssport bei der Nutzung priorisiert werden, darüber hinaus könnten auch benachbarte Vereine sich in die Halle einmieten, zum Training und für Spiele, was nicht mehr kosten solle als in städtischen Einrichtungen, erläutert Matthias. Der Bedarf sei groß. Dadurch würden dann auch in anderen Hallen wieder Zeiten frei. Das ist die Win-Win-Win-Win-Situation, von der er spricht: Die fehlenden Trainingskapazitäten an der Eliteschule, die fehlenden Hallenzeiten der Stadt, die heimatlosen Stützpunkte des Hockey- und des Tischtennis-Verbands, das Problem der einsturzgefährdeten Ruine und der fehlenden Halle für den Erstligisten MSC, all diese Probleme könnte das neue Konzept auf einen Schlag lösen oder zumindest lindern helfen. Bei strenger Zählung hat Carsten Matthias also sogar noch zwei Wins vergessen.

© SZ vom 18.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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