Weltcup in Maribor:Handbremse im Hinterkopf

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"Im Rennen gilt es, anzugreifen und dabei auch mal einen Fehler zu machen": Slalomfahrerin Lena Dürr hatte nur niedrige Platzierungen zum Saisonstart. (Foto: Imago/Eibner Europa)

Lena Dürr galt einst als Kronprinzessin des deutschen Skisports, ihr gehörte die Zukunft. Nach dem Rücktritt von Maria Höfl-Riesch ist sie die Frontfrau eines Slalom-Teams, das an den Leistungen der Vorgängerinnen gemessen wird - und vermisst die abgedankte Königin

Von Marius Buhl

Der Tag, an dem die Skifahrerin Lena Dürr aus Germering (Kreis Fürstenfeldbruck) die vier alles verändernden Worte hörte, war ein Donnerstag. Vier Worte, die ihre volle Kraft erst in den nächsten Jahren entfalten würden. Gesprochen wurden sie auf einer Pressekonferenz am Münchner Flughafen. Maria Höfl-Riesch hatte herumgedruckst, gestottert, zu Boden geblickt. Dann sagte sie: "Ich beende meine Karriere."

Riesch war das Covergirl des Deutschen Skiverbands (DSV), die erfolgreichste deutsche Skiläuferin der Geschichte. Sie gewann Olympia-Gold, wurde Weltmeisterin, stand wie ein Schirm in der prallen Sonne der Öffentlichkeit. Darunter war viel Schatten. An jenem Donnerstag, als Höfl-Riesch ihren Vier-Wort-Satz sagte, es war im März 2014, klappte sie auch diesen Schirm ein. Von nun an würde sie nach verkorksten Renntagen keine Interviews mehr geben. Sie würde misslungene Mannschaftsleistungen nicht mehr mit einem Sieg kaschieren. Sie würde den Blick frei geben, auf das, was hinter ihr in den vergangenen Jahren passiert war.

17 Jahre alt war Lena Dürr, als sie ihr erstes Weltcup-Rennen fuhr. Bereits in ihrem zweiten qualifizierte sie sich für den zweiten Lauf. In Maribor, ein Jahr später, überraschte sie die Skiwelt mit Rang neun. Nebenbei erfuhr sie sich Podestplätze im Europacup, der zweiten Liga des Skisports. Medien verleihen Fahrerinnen mit diesem Karriereverlauf gerne das Prädikat "Wunderkind". Dürr, munkelten manche, würde Riesch einst beerben. Bei Fernseh-Interviews stand die Kronprinzessin schon hin und wieder neben der alten Königin.

An diesem Samstag wird Lena Dürr wieder in Maribor an den Start gehen, sieben Jahre nach ihrem sensationellen neunten Platz. Ein Riesenslalom und ein Slalom stehen auf dem Programm. In diesen sieben Jahren wurde aus dem Wunderkind eine Konstante in der ersten Liga ihres Sports. Dürr hat einen Weltcupsieg gefeiert (beim Parallelslalom in Moskau), ein paar Top-Ten-Plätze belegt, etliche Ränge im vorderen Mittelfeld. Das ist mehr, als das Gros ihrer Konkurrentinnen je erreichen wird. Es ist aber zu wenig, wenn Maria Riesch die Referenzgröße ist. Und je länger Dürr dabei ist, desto mehr scheint es, als zermürbe sie diese Erwartung.

Als Dürr ins deutsche Profi-Team aufrückte, war sie Teil einer goldenen Slalom-Generation. Neben Maria Riesch fuhren da: Kathrin Hölzl, Fanny Chmelar, Katharina Dürr, Susanne Riesch, Christina Geiger. Jede gut genug, um Medaillen zu gewinnen. Inzwischen ist nur noch Geiger übrig, auch sie hadert mit dem Druck. Wenn große Sportler zurücktreten, reißen sie immer ein Loch. Das war so, nachdem die deutschen Handballer 2007 Weltmeister wurden. Es war so, als Michael Jordan die Chicago Bulls endgültig verließ. Es war so, als Magdalena Neuner ihre Biathlon-Karriere mit gerade einmal 24 Jahren aufgab. Meistens dauert es einige Jahre, bis die Erwartung der Öffentlichkeit schrumpft, bis niemand mehr Siege als Normalität empfindet und alles jenseits von Platz vier als Enttäuschung. "Im Training", sagt Lena Dürr, "läuft es teilweise sehr gut, da bin ich schnell. Nur im Rennen klappt es nicht so gut." Ihre Weltcup-Ergebnisse in dieser Saison belegen das: 18, 24, 17, 14, 21. Wenn aber jemand im Training beständig schneller fährt als im Rennen, dann liegt das Problem nicht im fahrerischen Vermögen. Dürr weiß das. Sie sagt: "Der schlechte Saisonstart fährt im Hinterkopf mit. Das macht es nicht leichter."

Wer Dürr diese Saison fahren sah, konnte eine zaghafte Athletin beobachten. Sie fuhr schön, machte wenig Fehler. Doch irgendwie schien es, als sei sie ganz erpicht darauf, keine Fehler zu machen. Als habe sie eine Handbremse gezogen, die es ihr unmöglich macht, Vollgas zu fahren. Dürr weiß das alles selbst, sie ist eine kluge Sportlerin: "Technisch sauber ist oft langsam. Im Rennen gilt es, anzugreifen und dabei auch mal einen Fehler zu machen."

Früher fuhr Dürr regelmäßig auch Super-G und Abfahrt, die Harakiri-Disziplinen des alpinen Skisports. Am liebsten würde sie das immer noch, sie hat Spaß an der Geschwindigkeit. "Aber wenn es im Riesenslalom und im Slalom nicht so läuft, wie bei mir, ist es schwierig, noch eine dritte Disziplin zu fahren."

Maria Höfl-Rieschs Stärke war genau diese Vielseitigkeit. Sie konnte am Freitag eine Abfahrt gewinnen und am Sonntag einen Slalom. Sie beherrschte alle Disziplinen, war im Rennen ebenso stark wie im Training. Mit Druck ging Riesch spielerisch um. "Wenn du eine Maria Riesch in den eigenen Reihen hast, ist es das Beste, was dir passieren kann. Du kannst dich an ihr messen - wenn du mithältst, bist du in der Weltspitze", sagt Dürr. Es klingt, als vermisse sie ihre ehemalige Kollegin, das Zugpferd.

Bei den Rennen in Maribor wird Dürr wieder versuchen, die Erwartungen zu erfüllen. Dass sie es könnte, steht außer Frage - sie müsste nur die Handbremse lösen. Wenn sie es nicht schafft, wird sie im Fernsehen wieder erklären müssen, warum. Höfl-Riesch wird ihr nicht helfen können. Als Expertin stellt sie jetzt die Fragen.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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