Straßbergerstraße:Der Wirt mit den Bärenkräften

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Josef Straßberger betrieb für die Münchner Löwen nicht nur die Klubgaststätte - er holte auch einen Olympiasieg. Seine Medaillen gingen im Krieg verloren, sein Ruhm verblasste. Heute ist eine Straße nach dem Gewichtheber benannt, gleich neben dem einstigen Wunderkind Khadr El-Touni.

Von Dietrich Mauersberg, München

Josef Straßberger (links) führte gleich mehrere Lokale. Doch Bomben und die Inflation machen ihn mittellos. (Foto: imago)

Josef Straßberger und Khadr Syed El-Touni, nach denen unmittelbar angrenzende Straßenzüge im Olympiagelände benannt sind, verbindet eine Gemeinsamkeit: beide waren Olympiasieger im Gewichtheben. Der gebürtige Kolbermoorer Straßberger gewann 1928 in Amsterdam, der Aegypter El Touni war acht Jahr später in Berlin erfolgreich.

Dass Straßberger ( 1894 bis 1950) ein erfolgreicher Sportler werden würde, hatte sich am Ende des Ersten Weltkriegs noch nicht abgezeichnet. Er hatte durch harte körperliche Arbeit in der Landwirtschaft zwar schon immer Bärenkräfte, doch dann war da neben einer Fußverletzung dieser linke Mittelfinger, der halbiert war. Sein Enkel Andreas Lechner, der heuer unter dem Titel "Heimatgold" einen Roman über seinen Großvater geschrieben, ihn aber nie persönlich kennengelernt hat, kennt zwei Varianten dieses Unfalls: "Entweder ist es beim Einseilen von Ackergäulen passiert, oder, wie ich erst kürzlich gehört habe, durch eine Gewehrkugel."

Straßberger jedenfalls zog 1919 von Kolbermoor nach München, da er eine Anstellung bei den Elektrowerken bekam. Zeitnah schloss sich er sich der damals sehr erfolgreichen Gewichtheber-Fraktion des TSV 1860 München an und stellte noch im selben Jahr mit 340 Kilogramm den ersten seiner insgesamt neun Weltrekorde im Dreikampf der Halbschwer- beziehungsweise Schwergewichtsklasse auf. Der letzte datiert aus dem Jahre 1935, danach verließ er die internationale Wettkampfbühne. Mit dem TSV 1860 holte er neben insgesamt zwölf nationalen Einzeltiteln noch mehrmals deutsche Mannschaftsmeisterschaften.

Da Deutschland 1920 und 1924 als Kriegsverlierer ausgeschlossen war, startete Straßberger 1928 erstmalig als knapp 34-Jähriger bei Olympischen Spielen - und holte im Dreikampf mit großem Vorsprung Gold. Und das, obwohl er aufgrund seiner Fingerverletzung in der Disziplin Stoßen Schwierigkeiten hatte, die Hantelstange fest zu umklammern, weshalb seine Leistungen hier in der Regel weit hinter denen im Drücken und Reißen zurückblieben. Zwischenzeitlich wechselte "Straße", wie er genannt wurde, ins Halbschwergewicht, weil der phasenweise 110 Kilogramm schwere Münchner im Schwergewicht mit dem Kölner Karl Mörke lange Zeit einen nahezu ebenbürtigen Rivalen hatte, dem er aus dem Weg gehen wollte.

Straßberger führte gleich mehrere Lokale. Doch Bomben und die Inflation machen ihn mittellos

Bereits 38-jährig - für Gewichtheber angesichts körperlicher Verschleißerscheinungen ein hohes Wettkampfalter - war er 1932 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles in erneut sehr guter Verfassung. Mit 377,5 Kilogramm holte er im Schwergewicht Bronze hinter zwei Hebern der seinerzeitigen Gewichtheberhochburg Tschechoslowakei. Fast hätte es sogar zu Silber gereicht, doch der zweitplatzierte Vaclav Psenicka wies bei gleicher Leistung ein geringeres Körpergewicht auf.

Bereits in den Zwanzigerjahren hatte sich Straßberger als Betreiber des Vereinsheims der Münchner Löwen beruflich eine Existenz geschaffen, später war er Pächter gleich mehrerer Gaststätten in der Landeshauptstadt sowie des "Apollo", einer Kabarettbühne. Am 10. Januar 1945 wurde dann der von ihm geführte "Münchener Hof" in der Dachauerstraße ausgebombt. Damit verlor er auch sämtliche dort gelagerten sportlichen Auszeichnungen, darunter die Goldmedaille, nach der er noch tagelang vergeblich in den Trümmern suchte. Sein Vermögen war der Inflation zum Opfer gefallen, seinen Lebensunterhalt verdiente er fortan als Wirt der Sportschule Grünwald. Im Oktober 1950 starb er an einem Schlaganfall.

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(Foto: Florian Peljak)

In München vereint: Nach den Gewichthebern Khadr El-Touni aus Ägypten...

...und dem gebürtigen Kolbermoorer Josef Straßberger sind benachbarte Straßen benannt. Fotos: Florian Peljak

Ehe die Straßbergerstraße von einer ober- zu einer unterirdischen Zufahrt ins Olympische Dorf wird, stößt auf sie der El-Thouni-Weg, der an den Ägypter Khadr Syed El-Touni (1915 bis 1956) erinnert. Er galt wegen seiner hervorragenden Technik schon früh als Wunderkind, das seit 1934 mit Topresultaten internationale Aufmerksamkeit genoss. Er reiste daher trotz seiner erst 21 Jahre als Favorit zum Wettbewerb im Mittelgewicht 1936 zu den Spielen nach Berlin. Mit diesem Druck kam er hervorragend zurecht, verwies keinen Geringeren als den deutschen Lokalmatador Rudolf Ismayr, Olympiasieger von 1932, souverän auf Rang zwei. Dies war selbstverständlich eine große Enttäuschung für die Spitze der Nationalsozialistischen Partei, die einen Deutschen ganz oben auf dem Treppchen sehen wollte.

Der gebürtige Landshuter Ismayr (1908 bis 1998) machte nach dem Zweiten Weltkrieg im Übrigen auch außerhalb des Sports überregional Schlagzeilen: als Mitbegründer der Friedensunion protestierte der überzeugte Pazifist gegen die Wiederbewaffnung der Republik, worauf ihm im bayerischen Staatsdienst lange jegliche Beförderung verweigert wurde. Nach einem verlorenen Prozess 1964 wurde er später aber dennoch Regierungsdirektor.

Zurück zu El Touni: In seiner mutmaßlich größten sportlichen Zeit - also zwischen den Jahren 1939 und 1945 - konnte der Ägypter wegen des Zweiten Weltkriegs, in denen zwei Olympische Spiele ausfielen (1940: Tokio; 1944: Helsinki) sein Können nicht zeigen. 1948 in London bei seiner zweiten Olympia-Teilnahme wurde er dann Vierter, obwohl er sich einen Tag vor dem Wettkampf verletzt und ihm der Mannschaftsarzt eigentlich ein Startverbot ausgesprochen hatte. Nachdem er die Welttitelkämpfe 1949 und 1950 dominiert sowie 1951 immerhin Platz drei belegt hatte, verzichtete er zur großen Überraschung der Konkurrenz 1952 in Helsinki auf seinen dritten Olympia-Start. Im September 1956 ist der Vater von insgesamt acht Kindern dann auf tragische Weise gestorben: Er entlud einen Kohlezug und touchierte dabei mit der Brechstange die elektronische Oberleitung.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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