Tänzer, Boxer, Chauffeur:Vielseitig verwendbar

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"Ich brauche sportlichen Erfolg": Christian Gadenne, 33, einst Medienchef der FC-Bayern-Basketballer, vermarktet nun die Münchner Leichtathletik

Von Andreas Liebmann, München

Christian Gadenne lernt täglich dazu, fast jedes Mal, wenn sein Telefon klingelt oder ein Sportler sein Büro betritt. Oder, wie Anfang März, wenn ein Fernsehteam kurzfristig Leichtathleten für einen Trailer sucht, und Gadenne, 33, irritiert feststellt, dass gar keiner im Lande ist. Trainingslager. Gadenne ist seit Oktober 2014 für Abläufe und Vermarktung der LG Stadtwerke München verantwortlich, damit sozusagen für die Geschicke der Leichtathletik in der Stadt. Doch er kommt nicht aus dieser Sportart. Inzwischen weiß er, dass der 400-Meter-Läufer Kamghe Gaba nicht in der Halle startet, weil die Beine des 2,02-Meter-Mannes zu lang dafür sind, und dass auch weniger Riesige die Halle schon mal auslassen, selbst wenn eine EM ansteht, weil Indoor-Wettkämpfe einen geringeren Stellenwert haben. "Für mich sind Europameisterschaften Europameisterschaften", sagt Gadenne, "ich sehe das eher wie ein Zuschauer."

Gadenne, wie gesagt, ist kein Zuschauer, als Geschäftsführer der Sport und Athletik Marketing GmbH (SAM) besetzt er eine Schlüsselposition in dem Zusammenschluss aus zehn Leichtathletik-Vereinen und -Abteilungen, doch er hat kein Problem damit zuzugeben, dass ihm ins Sportliche noch etwas der Einblick fehlt. "Ich sehe meine Aufgaben eher im wirtschaftlichen Bereich", sagt er, "aber natürlich brauche ich sportlichen Erfolg, um etwas vermarkten zu können."

"Ich sehe meine Aufgaben eher im wirtschaftlichen Bereich": Christian Gadenne, 33, schnuppert Leichtathletik-Atmosphäre im Dantestadion. (Foto: Lukas Barth)

Gadenne ist kein Unbekannter im Münchner Sport, er war jahrelang Medienchef bei den Basketballern des FC Bayern. Auch aus dem Basketball kommt er nicht, doch er lernt schnell. Eigentlich war Gadenne Turniertänzer, B-Klasse, Standard und Latein. Er begann damit, nachdem seine Eltern mit ihm aus dem Osten Berlins nach Heilbronn gezogen waren. Aus dem Tänzer wurde ein Boxer. 2003 fand sein letzter Kampf statt, er unterlag dem damaligen hessischen Meister. Nach München kam er für eine Lehre als Buchhändler, danach begann er Literatur zu studieren und Hochschulboxer zu trainieren, 2011 wurde die LMU zweitbeste deutsche Box-Uni. Zu dieser Zeit war er bereits beim FC Bayern.

Angefangen hatte das auf kuriose Art: "2004 war ich als Zuschauer an der Säbener Straße, nach dem Spiel war die Frage, wer beim Abbauen helfen kann." Gadenne half, und irgendwann habe sich die Frage aufgetan, wer wohl einen Bericht verfassen könne. Als viel später Trainer Dirk Bauermann kam, mit dem es in die erste Liga ging, war Gadenne längst Teil einer kleinen Gruppe, die alles organisierte; die in der Gegend herumfuhr, um etwa "von irgendeiner Oma" für 20 Euro eine Couch abzuholen, für die Wohnung eines US-Legionärs. Oder eine Tribüne für die Halle; Teppiche fürs neue Parkett. "Ich habe die ganze Entwicklung erlebt und mitgestaltet." Als er eines Tages merkte, dass er im Profibetrieb nicht mehr viel mitgestalten durfte, ging er. Das war Ende 2012.

Die Sache mit der Leichtathletik kam später. Gadenne machte gerade, was ein Boxer mit Literaturstudium eben so macht: Er arbeitete als Qualitätsmanager in der Automobilbranche. Er inspizierte in Bosnien Kurbelwellenlagerdeckel, von denen er bis dahin etwa so viel verstand wie vom spezifischen Trainingsprofil eines Hammerwerfers oder Kamghe Gabas Beinen. Den Einblick in diese Branche fand er "ernüchternd". Da rief während einer Dienstfahrt Christopher Franke an. Franke, ein ehemaliger Sprinter und Doktor der Philosophie, war damals SAM-Geschäftsführer. Er hatte einst Gadennes Boxkurs besucht, der Kontakt riss nie ab - und nun suchte er einen Nachfolger.

Sport ist Gadenne näher als Kurbelwellenlagerdeckel, also lernt er seither die Struktur der LG Stadtwerke kennen, versucht fortzuführen und zu optimieren, was Franke begann. Mit Rückschlägen, etwa der Absage des Jump&Fly-Meetings im Juni, und durchaus in einer kniffligen Phase. Gerade laufen die Verhandlungen mit den Stadtwerken über einen neuen Vertrag. Er sei zuversichtlich, dass die Förderung weitere zwei Jahre laufen werde, und "dankbar, dass sie das machen". Details gibt es noch nicht, er müsse nun Vorschläge für die Zukunft ausarbeiten. Dazu will er nach und nach mit allen Abteilungsleitern sprechen, deren Wünsche und Vorstellungen üblicherweise etwa so homogen sind wie die aller EU-Staaten.

Ohne den Sponsor würde es gar nicht gehen, leichter wird die Arbeit aber selbst mit ihm nicht. Die Zuschüsse des Bayerischen Landes-Sportverbands an die Leichtathletik werden drastisch sinken, auch die des Deutschen Leichtathletik-Verbands, der ohnehin wenig für den Standort München unternehme. "Das Umfeld hier ist nicht einfach", sagt Gadenne.

Aber er kann wieder mitgestalten. Gerade lernt er, ein Top-Meeting zu organisieren. Zu dem vom PSV München veranstalteten Ludwig-Jall-Sportfest im Dantestadion am Samstag wird ein internationales Feld erwartet, Startgeld, Prämien, Übernachtungen müssen bezahlt werden. Gemeinsam mit anderen, etwa Lauftrainer Olaf Gollnow, holte er die Athleten vom Flughafen ab: am Donnerstag, 7.30 Uhr, den Hochspringer Donte Nall, den er wegen des Ausfalls der Hochsprung-Disziplin gleich nach Sinn weiterschickte; am Freitag, 5.30 Uhr, den Mexikaner Juan Mendez. Danach Südafrikaner, Italiener. Fast wie damals die Couch von der Oma, nur etwas teurer.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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