SZ-Serie "Bunte Liga", Folge 6: Unterwasserrugby:Aus der Tiefe des Beckens

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Der Süddeutsche Tauchclub hat Weltmeister in dem archaischen Spiel hervorgebracht - doch ihm fehlt der Nachwuchs.

Von Sebastian Winter

Der FC Bayern, na klar. Oder der EHC Red Bull München: Serien-Meister. Aber der Sport in München und der Region ist mehr als Fußball, Basketball und Eishockey. Zum Beispiel Frisbee, Bogenschießen oder Tipp-Kick. In einer Serie stellt die SZ Bundesligisten und Sportarten vor, von denen viele noch nie etwas gehört haben, die das Angebot aber erst bunt machen. Und es verdient haben, gewürdigt zu werden. Diesmal: Unterwasserrugby.

Wer denkt, Unterwasser-Rugby sei nichts für Zuschauer, der irrt. Inzwischen sind auf internationalem Niveau, also bei Klubduellen im Champions Cup der Landesmeister, oder bei Welt- und Europameisterschaften, mehrere Kameras im Becken installiert, meist zwei bei den Toren und eine an der Mittellinie. Den Livestream können die Zuschauer dann über Wasser auf der Tribüne verfolgen - oder zu Hause. "Wir sind da schon deutlich vorangekommen", sagt Heike Reichhuber. Das nur mal so zur Verortung. Denn wer an Unterwasser-Rugby denkt, hat nun einmal nicht gerade Spitzensport vor Augen, samt globalen Titelkämpfen. Sofern man überhaupt etwas vor Augen hat, denn es dürfte nicht wenige Menschen geben, die noch nie von diesem anstrengenden, actionreichen, ziemlich archaischen Spiel gehört haben. Das, nun ja, auch leicht zu übersehen ist, weil es sich in Schwimmbecken unter Wasser abspielt, in bis zu fünf Metern Tiefe.

Reichhuber verantwortet zusammen mit ihrem Mann die Unterwasser-Rugby-Abteilung beim Süddeutschen Tauchclub 1950 (STC) aus München, deren Herren seit 1983 ununterbrochen in der in der ersten Bundesliga spielen, aber noch nie deutscher Meister wurden - im Gegensatz zu den Frauen. Aber dazu später mehr, es ist nämlich etwas kompliziert. In der Szene kennt Heike Reichhuber jedenfalls so ziemlich jeder. Die 57-Jährige hat von 1989 bis 2013 jede EM und WM mitgespielt, 2003 und 2007 wurde sie mit den deutschen Frauen Weltmeisterin, 1997, 2001 und 2010 - zuletzt als Assistentin ihres Mannes Bernd, der 20 Jahre lang Frauen-Bundestrainer war und die Ära mitprägte - Europameisterin. Den Champions Cup gewann sie, zudem elf DM-Titel. Reichhuber ist deutschlandweit, vielleicht in ganz Europa, die erfolgreichste Unterwasserrugby-Spielerin überhaupt. Nach dem zweiten WM-Titel schüttelte sie die Hand des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, der ihr das Silberne Lorbeerblatt verlieh, die höchste sportliche Auszeichnung im Land.

Die deutschen Frauen dominierten damals die Unterwasserrugby-Welt. Sie tun das immer noch, im vergangenen Jahr wurden sie in Graz WM-Zweiter, mit der Bundestrainerin Tanja Scherer, die beim STC München spielt. Noch nie haben sie bei einer internationalen Meisterschaft keine Medaille gewonnen. Die Reichhubers schauten sich die WM diesmal als Zuschauer auf der Tribüne an. Samt Livestream. Alles war wunderbar, nur der Titel fehlte; für die deutschen Männer, die Bronze holten, wäre es der allererste gewesen.

„Es ist ein tolles Gefühl, im dreidimensionalen Raum zu spielen“: Den Ball ins gegnerische Tor zu bugsieren, ist zugleich extrem anstrengend. Zumal wenn der Keeper kopfüber den Ring versperrt. (Foto: Armin Trutnau; VDST/oh)

Rund 1400 aktive Unterwasserrugby-Spieler gibt es hierzulande im Ligenbetrieb, schätzt Bernd Reichhuber, etwa zehn Prozent davon seien Frauen. Deutschland gilt auch im Vereinswesen als Hochburg in diesem Sport. Doch inzwischen herrscht viel Tristesse. "Training ist gerade nicht, weil für Klubs die Münchner Bäder noch nicht zugänglich sind", sagt Heike Reichhuber. Außerdem, das lässt sich kaum bestreiten, ist Unterwasser-Rugby Kontaktsport. "Und wir haben das Thema Aerosole in der Luft", wenn die Spieler ausatmen oder aus dem Wasser steigen.

Mitte März wurde die Saison abgebrochen, kurz vor Schluss. Die Münchner Männer lagen in der Südstaffel der dreigleisigen Bundesliga (in der auch Frauen, wie Tanja Scherer, mitspielen) auf dem vorletzten Platz. Das vorzeitige Ende verschafft ihnen nun den Vorteil, nicht in die Abstiegsrelegation zu müssen, sie spielen nächste Saison sicher wieder in der Bundesliga. Die Frauen stehen in ihrem eingleisigen Oberhaus besser da, wobei es - und jetzt wird es etwas kompliziert - noch nie ein reines STC-Team gab. Mangels Spielerinnen wurde die SG Bayrische Damen gegründet, sie war vor dem Abbruch Vierter im Siebenerfeld. Ligaerster ist der UC Langen aus Hessen, bei dem auch Münchnerinnen spielen - wie früher Heike Reichhuber, die auch bei den STC-Männern viele Jahre lang mitspielte. Sie hat ihre Badekappe, Flossen, Schnorchel und Tauchermaske noch nicht an den Nagel gehängt. Inzwischen spielt sie im Landesliga-Team des STC, kämpft aber vor allem als Funktionärin im Münchner Haifischbecken um Wasserzeiten.

Zweimal trainieren die Bundesliga-Männer des STC wöchentlich normalerweise, einmal immerhin unter besten Bedingungen im tiefen Sprungbecken des Olympiabades. "Das reicht gerade für die Bundesliga, ist aber eigentlich zu wenig", sagt Reichhuber. Benzinkosten für die weiten Auswärtsfahrten und Startgelder werden vom Hauptverein getragen, der die erfolgreiche Sparte gut unterstützt. Auch weil man dort weiß, wie actionreich der Sport ist - und wie viel Herzblut die Aktiven investieren.

Spätestens nach 45 Sekunden tauchen die Spieler wieder auf, um neue Luft für den Kampf unter Wasser zu holen. (Foto: Jenny Sadzik/oh)

Laut Reglement tummeln sich sechs Spieler im Wasser, sechs sitzen draußen auf der Auswechselbank. Wie beim Eishockey gibt es fliegende Wechsel, etwa alle 45 Sekunden müssen die Akteure auftauchen zum Atmen. Das Spiel ist schnell, von Atemnot geprägt - und sehr körperbetont. Ziel ist es, eine Art Handball, der mit Salzwasser gefüllt ist und daher im Becken absinkt, ins gegnerische Tor zu bugsieren. Die Tore - zwei Eisenkörbe, Durchmesser rund 40 Zentimeter, stehen am jeweiligen Beckenende auf dem Boden. Es gibt Stürmer, Verteidiger und Torhüter, angegriffen werden dürfen nur der ballführende Spieler und der Torwart. Gepasst wird mit einer kugelstoßartigen Schubsbewegung - ein Wurf wie beim Handball würde den Ball unter Wasser kaum vorantreiben.

Eine besondere Rolle hat der Keeper, auch Obertorverteidiger oder Deckler genannt, der mit dem Rücken auf der Ringkante des Korbes liegt und so das Tor verriegelt. Der ballführende Angreifer hat die Aufgabe, ihn vom Tor wegzuziehen. Der Untertorverteidiger, der Dackel, hilft dem Torwart bei der Abwehr. Attacken gegen Ausrüstung oder Kopf sind streng verboten, was die drei Schiedsrichter von außerhalb des Beckens hart ahnden: Sie verwarnen Spieler, setzen sie auf die Strafbank, geben Penaltys - und kommunizieren mit den Teams mittels einer Hupe. Langer Ton: Spielbeginn oder -fortsetzung, nach einem erzielten Tor oder bei einem Freiwurf. Zwei lange Töne: Tor. Mehrere kurze Töne: Unterbrechung, etwa wegen eines Fouls. Zwei mal 15 Minuten dauert eine Partie, zwischendurch ist fünf Minuten Pause. Die Faszination von Unterwasser-Rugby, das in Nordrhein-Westfalen seinen Anfang nahm - 1964 gab es das erste Spiel zwischen Mülheim und Duisburg - beschreibt Heike Reichhuber so: "Das Spiel ist schnell, es entwickelt sich immer weiter. Und es ist einfach ein tolles Gefühl, im dreidimensionalen Raum zu spielen."

Inzwischen wird Unterwasser-Rugby in vielen Ländern gespielt, in der Türkei, Kolumbien, in Australien, den USA, in Frankreich. Im Münchner Umland gibt es neben dem STC noch den SV Ottobrunn in der Landesliga, einen Klub mit starker Nachwuchsarbeit, der schon viele deutsche Jugendmeisterschaften gesammelt hat. Der STC und Ottobrunn kooperieren im Juniorenbereich, und wenn sich Talente mit höheren Ambitionen finden, können sie nach München in die höhere Liga wechseln.

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(Foto: Heike Reichhuber/oh)

Zwei, die eine erfolgreiche Ära im deutschen Unterwasserrugby mit geprägt haben: Heike ...

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(Foto: Bernd Reichhuber/oh)

... und Bernd Reichhuber.

Aber genau das ist ein großes Problem beim Süddeutschen Tauchclub: Die Bundesliga-Männer gelten als ziemlich überaltert, die Sparte hat zugleich große Nachwuchssorgen - die in diesen Monaten ohne Training und Spielbetrieb nicht unbedingt geringer werden. Der späte Beginn der Montagseinheit um 21 Uhr ist ohnehin nicht jugendfreundlich, das Freitagstraining im fünf Meter tiefen Becken auch nicht, "weil es konditions- und luftmäßig schon eine Herausforderung ist", wie Bernd Reichhuber sagt. Es befindet sich gerade wieder eine Jugendgruppe im Aufbau, aber das sind erst einmal sechs bis sieben Tauchinteressierte. Eine junge, engagierte Trainerin mache viel mit den Kindern, erzählt Reichhuber. Der derzeit jüngste Unterwasser-Rugbyspieler beim STC ist zugleich schon 21 Jahre alt.

Dabei müssen sich die Talente vor schweren Verletzungen nicht fürchten. Selbst bei den Männern passiere erstaunlich wenig, berichtet Reichhuber, mal eine lädierte Kapsel am Finger, mal eine ausgekugelte Schulter oder ein kaputtes Trommelfell. Das alles kommt, auch aufgrund des Fairness-Codes, eher selten vor.

Die Reichhubers hoffen, dass sich von Herbst an wieder mehr Kinder anmelden. Solange schwelgen sie eben in Erinnerungen: Cali, tief in Kolumbien, 1995 - Heike Reichhubers erste WM außerhalb Deutschlands. Und gleich die Silbermedaille. "Es war massenweise Publikum da, Hunderte Zuschauer, wir waren das nicht gewohnt", sagt sie. Im riesigen Freibad-Stadion versammelten sich alleine zur Eröffnungsfeier 1500 Fans. In Deutschland schauen bei Ligaduellen oft nur fünf oder sechs zu. Oder 2003, Schweden, das erste WM-Gold, nach Verlängerung im Finale gegen die Gastgeber. 2007 dann, Bari, die Titelverteidigung. "Unsere beste WM", wie Bernd Reichhuber mit einigem Stolz erzählt. Die Medaillen haben sie in ihren Arbeitszimmern aufbewahrt, Vereinsheim gibt es ja keines beim Süddeutschen Tauchclub. Was die Reichhubers noch reizen würde? Tauchen in der Nähe der Galapagos-Inseln oder mit Hammerhaien bei Malpelo, einem Felsen 500 Kilometer vor der kolumbianischen Küste. Aber auch dieses Erlebnis unter Wasser muss noch warten.

Bisher erschienen: Rot-Weiß München / Lacrosse (18.6.), Crash Car Team München-Nord / Stock-Car (9.7.), Munich Animals / Powerchair-Hockey (17.8.), Munich Rolling Rebels / Roller Derby (20.8.), Bavarian Bats / Blindenbaseball (31.8.)

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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